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Studieren mit Behinderungen – Interview: „Sie haben ein Recht darauf“

Inklusive Hochschulen – dafür setzt sich die Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS) des Deutschen Studentenwerks ein. Referatsleiter Jens Kaffenberger spricht im abi» Interview über theoretische Ansprüche und praktische Umsetzung.

Porträtfoto von Jens Kaffenberger

abi» Herr Kaffenberger, warum sollten sich junge Menschen mit Behinderungen in jedem Fall ein Studium zutrauen?

Jens Kaffenberger: Ganz einfach: Weil sie ein Recht darauf haben. Es ist nicht ihre Aufgabe, sich dieses Recht zu erkämpfen oder es durchzusetzen. Es ist die Aufgabe der Hochschulen, ihnen die Teilhabe zu ermöglichen.

abi» Weil sie gesetzlich dazu verpflichtet sind?

Jens Kaffenberger: Genau. Nach der UN-Behindertenrechtskonvention ist ein diskriminierungsfreier und gleichberechtigter Zugang zur Hochschulbildung herzustellen. Das betrifft sowohl den Zugang zu Gebäuden, zu Kommunikation wie auch zu Lehre und Lernen.

abi» Wird das in der Praxis entsprechend umgesetzt?

Jens Kaffenberger: Das ist natürlich ein Prozess. Aber mittlerweile gibt es an fast allen Hochschulen Beauftragte für Studierende mit Behinderungen und es wurde viel in Barrierefreiheit investiert. Wo ein barrierefreier Zugang noch nicht möglich ist, bedarf es angemessener Vorkehrungen, um im Einzelfall Nachteile ausgleichen zu können. Und es ist wichtig, solche Studierenden zu berücksichtigen, deren Beeinträchtigung nicht auf den ersten Blick sichtbar ist.

abi» Betrifft das viele?

Jens Kaffenberger: Sogar die Mehrzahl. An deutschen Hochschulen haben rund elf Prozent der Studierenden eine studienerschwerende Beeinträchtigung. Gut die Hälfte davon hat eine psychische Erkrankung, etwa eine Depression, Angststörung oder Autismus-Spektrum-Störung. 20 Prozent haben eine chronische Erkrankung. Auch eine Legasthenie ist erst mal nicht sichtbar.

abi» Inwiefern ist das ein Problem?

Jens Kaffenberger: Diese Studierenden müssen häufig aktiv auf ihre Beeinträchtigung hinweisen – und das ist nicht immer einfach. Nicht jedem ist mit einer Rampe geholfen. Viele brauchen eine andere Art der Barrierefreiheit. Bei Krankheiten, wo sich Phasen von besserer und schlechterer Studierfähigkeit abwechseln, ist Flexibilität im Studium enorm wichtig: etwa die Möglichkeit, Fristen zu verlängern, Praktika zu verschieben oder ein individueller Studienplan. Ebenso braucht es Räume, in die man sich spontan zurückziehen kann.

abi» Das heißt, die Schwierigkeiten und die Lösungen sind sehr individuell?

Jens Kaffenberger: Ja, es gibt keine Blaupause. Ein Studium ist für alle Abiturientinnen und Abiturienten ein neuer Lebensabschnitt. Für Menschen mit Behinderungen ist es jedoch eine besondere Herausforderung. Eventuell brauchen sie Ärztinnen und Ärzte sowie Therapeutinnen und Therapeuten vor Ort, Unterstützung im Studium – oder im Alltag. Auch eine geeignete Wohnung zu finden, ist deutlich schwerer.

abi» Wer kann dabei helfen, diese Schwierigkeiten zu meistern?

Jens Kaffenberger: Die Internetseite der Informations- und Beratungsstelle für Studium und Behinderung (IBS) ist ein guter erster Anlaufpunkt für allgemeine Informationen. Hier sind die Ansprechpersonen der Hochschulen und Studierendenwerke aufgelistet; die sollten Studieninteressierte auf jeden Fall kontaktieren. Sie beraten zu Fragen wie Nachteilsausgleich und Finanzierung oder helfen bei der Wohnungssuche und der Vermittlung von Studien- oder Alltagsassistenzen. Sie kennen die Gegebenheiten vor Ort und können einschätzen, wie barrierefrei die Hochschule und die Stadt für den Einzelnen tatsächlich sind. Es ist immer gut, den Studienort vorher kennenzulernen oder Angebote wie ein Schnupperstudium wahrzunehmen.

abi» Kommt das zunehmende digitale Lernen Studierenden mit Behinderungen entgegen?

Jens Kaffenberger: Für manche ist das zeit- und ortsunabhängige Lernen durchaus von Vorteil, für andere jedoch bedeutet es eine zusätzliche Form der Exklusion. Das Bewusstsein für digitale Barrierefreiheit in den Hochschulen wächst, aber wir sind noch weit davon entfernt, dass Barrierefreiheit selbstverständlich mitgedacht wird.

abi» Denken Sie, dass der Anteil von Studierenden mit Beeinträchtigungen weiter zunehmen wird?

Jens Kaffenberger: Ja, das hat die Entwicklung der vergangenen Jahre gezeigt. Die Schulen sind deutlich durchlässiger geworden, es werden immer mehr Hürden abgebaut. Und junge Menschen mit Beeinträchtigungen sind selbstbewusster. Darin kann ich sie nur bestärken. Auch darin, offen mit der Beeinträchtigung umzugehen.