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Der hohe Norden

Ein Porträt-Foto von Rosie

Autor:
Rosie

Rubrik:
studium

30.08.2023

Ich habe sie endlich wiedergesehen. Nach drei langen Jahren. Nach dem Abitur ist sie hoch in den Norden gezogen, während es mich noch weiter in den Süden, in die französische Schweiz gezogen hat. Um sie zu sehen, musste ich halb Europa durchqueren. Elf lange Stunden im Zug, in denen die Landschaft von bergig zu platten, ewigen Feldern in einen unendlichen Horizont verschwimmt. Ich hatte Angst, dass wir durch die lange Zeit vielleicht zu verschieden geworden sind, doch es war, als hätten wir uns erst gestern gesehen. Unsere Reise beginnt in Hamburg. Es ist Christopher Street Day und die Jagd nach einem leeren Schließfach gestaltet sich deshalb unerwartet schwierig. Überall sind Leute in Pride Klamotten, Ledergeschirren und Latex oder sogar ganz nackt. Es ist voll, laut und eine super Stimmung. Alle singen und tanzen. Wir versuchen uns durch die Menschenmengen zu quetschen und zumindest ein bisschen was von Hamburg zu sehen, denn es ist mein erstes Mal hier. Nach der langen Zugfahrt bin ich hungrig, das heißt, nach einer kurzen Erkundung des Rathaus-Viertels gehen wir essen. Meine Freundin hat ein süßes vietnamesisches Restaurant herausgesucht, das komplett vegan ist (so süß von ihr). Das Essen und die Getränke sind super innovativ und unglaublich lecker!

Nach einem langen Catching-up geht es weiter in die Speicherstadt. Aber nicht so schnell wie gedacht, denn der ganze U-Bahn-Verkehr ist beeinträchtigt durch den CSD und jede U-Bahn ist rappelvoll. Wir finden uns eingeklemmt zwischen persischen Touristen und einer Hamburger Familie mit Kinderwagen, mit kaum Luft zum Atmen. Aber alles ist vergessen, als die roten Backsteinbauten der Speicherstadt in Sicht kommen, begleitet von lauter kleinen Brücken über die Elbe und der Elbphilharmonie. Von oben haben wir einen schönen Blick über den Hamburger Hafen und die Landungsbrücken, während das Licht der Sonne schon langsam golden wird. Wir bleiben bis spätabends und können nicht aufhören zu reden. Es gibt so viel zu erzählen.

Erst als ich bei ihr zu Hause ankomme, merke ich, wie viel Zeit vergangen ist. Dass wir uns beide ein neues Leben aufgebaut haben. Ich bin so stolz auf sie. Auf alles, was sie geschafft hat. Wie sie innerlich gewachsen ist und wie sie ein so verantwortungsvoller, bedachter und wunderschöner Mensch geworden ist. Ich bin stolz auf uns beide. Wie wir uns weiterentwickelt haben. Alles ist anders, aber es ist schön.

Am nächsten Tag sehen wir uns Kiel an. Den großen Hafen, die kleinen Dörfer und Strände rundherum. Mit einem Taxiboot fahren wir die Küste um Kiel ab. Angefangen im Hafen, aus dem an diesem Sonntag die großen Kreuzfahrtschiffe in Richtung Dänemark und Norwegen ablegen. Doch als wir den Hafen hinter uns lassen, kommen Reet-bedachte Häuser in Sicht sowie Ostseesandstrände mit den typisch nordischen Sandkörben. Wir teilen uns Gemüsecurry im Sand, an einen Strandkorb gelehnt, und genießen das bisschen Sonne, das sich durch die dichten Wolken kämpft. Das Meer ist kalt, der Wind auch, und doch wäre ich in diesem Moment nirgends lieber gewesen.

Abends beginnen wir einen Bollywoodfilm, während wir für die lange Zugfahrt am nächsten Tag packen. Sie besucht nämlich mich in der Schweiz. Wir haben den Film immer noch nicht zu Ende geschaut. So haben wir auf jeden Fall einen Grund, uns bald wiederzusehen.

Fortsetzung folgt …