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Ist das wirklich so? Berufe und Klischees: Psychotherapeut

Psychotherapeut/innen lesen Gedanken und nicken verständnisvoll – oder? Mit solchen Klischees räumt der Psychotherapeut Dr. Paul Kaiser im abi» Podcast auf. Er ist Mitglied der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung und zeigt, wie vielfältig der Beruf wirklich ist, welche Herausforderungen er mit sich bringt – und warum Zuhören nur der Anfang ist.

  • Portrait von Paul K.

    Ich glaube, es ist wichtig, dass es selbstverständlicher und normaler wird, dass man zum Psychotherapeuten geht.

    Dr. Paul Kaiser, führt eine Praxis für Psychotherapie in Hamburg

Textversion des Podcasts zum Lesen (Audio-Transkript)

Jingle: abi», dein Podcast für die Berufsorientierung.

abi»: Was stellst du dir eigentlich unter Psychotherapie vor? Vielleicht so was wie: Man liegt auf einer Couch, redet über die Kindheit und gegenüber sitzt jemand, der in deinen Gedanken liest und in regelmäßigen Abständen verständnisvoll nickt. Aber ist es wirklich so? Spoiler: Es geht um weit mehr als nur um Zuhören. In dieser Folge beleuchten wir Klischees, Missverständnisse und das echte Leben als Psychotherapeut/in. Ich bin Nina und spreche heute mit Dr. Paul Kaiser, der als Psychotherapeut Menschen in Krisen begleitet. Wir räumen auf mit Vorurteilen und zeigen, warum dieser Beruf so spannend und vielseitig ist. Schön, dass du dabei bist.
Hallo, Herr Dr. Kaiser. Schön, dass auch Sie da sind. Wir wollen ja heute über Klischees im Psychotherapeuten-Beruf sprechen. Und ein Klischee, was man ja häufiger hört, ist, dass Psychotherapeutinnen und -therapeuten einfach nur zuhören müssen. Es liegt jemand auf der Couch und sie sitzen daneben und hören zu und geben vielleicht den einen oder anderen Ratschlag. Ist das wirklich so?

Dr. Paul Kaiser: Das kommt ein bisschen darauf an, also es lässt sich ja nicht so alles verallgemeinern, weil es ja in Deutschland letztlich vier Verfahren gibt, die von den Krankenkassen bezahlt werden. Das Setting mit der Couch, das wäre tatsächlich die analytische Psychotherapie. Da ist der Behandler aus dem Sichtfeld der Person, die eben auf der Couch liegt, und in der Tat auch mehr zurückgewiesen. Das ist allerdings nicht das Verfahren, womit die meisten Personen in Deutschland behandelt werden. Die werden in der Regel eben therapeutisch und tiefenpsychologisch fundiert behandelt. Und dort sitzt man dann gegenüber. Und es ist natürlich so, das sind ja sogenannte zeitgebundene Leistungen. Also es bedeutet, ich habe in einer Sitzung 50 Minuten Zeit, und in dieser Zeit geht es natürlich einmal ums Zuhören, weil natürlich der Behandler, die Behandlerin da einfach die Expertise mit einbringen muss, um auch zu verstehen. Salopp gesagt: Wo hakt es denn eigentlich jetzt auf einmal im Leben? Ich mache tatsächlich auch beides. Das Klischee aus den Filmen von Woody Allen oder ähnlichen, die dort dreimal in der Woche auf der Couch liegen. Aber das ist ein Verfahren. Das eignet sich auch für einige Patienten, aber sicherlich auch nicht für alle. Und in der Regel oder die meisten Behandlungsstunden verbringe ich auch tiefenpsychologisch fundiert, dass jemand einmal in der Woche kommt, auf dem Stuhl, man sitzt gegenüber, leicht versetzt. Und dann frage ich eigentlich immer, was den Patienten so bewegt.

abi»: Sie haben es auch gerade angedeutet: Es gibt ja zahlreiche Klischees, die sich um diesen Beruf ranken. Welche Rolle spielen denn dabei die Medien und die Popkultur, diese Klischees auch tatsächlich zu verfestigen und Missverständnisse noch zu verstärken?

Dr. Paul Kaiser: Was ich auf jeden Fall positiv sehen würde, ist, dass natürlich eben Medien und Popkultur dazu beigetragen haben, das auch ein Stück weit zu entstigmatisieren, weil es ist ja eben seit 99 hier in Deutschland, was eine große Errungenschaft ist, eine Kassenleistung ist. Das hat ein Stück weit zu einer Normalisierung beigetragen und gleichzeitig aber auch das ist etwas, was wir letztlich in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung erleben, trifft dort natürlich ein Angebot, das wir vorhalten, auf eine Nachfrage, die gar nicht mehr gedeckt werden kann, was es auch einfach sehr schwierig macht. Und ich würde sagen, bei den Medien kommt das natürlich immer darauf an, wenn Sie jetzt irgendwie einen gut recherchierten Artikel haben. Wo Information bekömmlich, sag ich mal, für ein breites Publikum aufgearbeitet werden, ist es total super. Auf der anderen Seite haben Sie natürlich auch gerade eben im Bereich der sozialen Medien wirklich auch ja sehr problematische Posts, die in dem Sinne einfach fachlich nicht zutreffend sind, aber die natürlich einfach dann auch nicht wirklich zur Patientensicherheit oder in diesem Sinne wirklich sind. Und das ist natürlich da einfach ein schwieriges Feld, da zu navigieren. Ich würde aber erstmal sagen, es ist eine gute Sache, dass es ein stückweit normaler wird.

abi»: Ja, in jedem Fall. Und können Sie aus Ihren eigenen Erfahrungen berichten, wo Sie vielleicht mal mit Klischees und Vorurteilen konkret konfrontiert wurden und wie Sie das widerlegt haben?

Dr. Paul Kaiser: Ja, also mir fallen eigentlich zwei Beispiele ein, das sicherlich, wenn man jetzt privat unterwegs ist, so der Satz: Wie, oh mein Gott, dann kannst du ja meine Gedanken lesen oder so. Ich muss jetzt ganz doll aufpassen, was ich sage. Sage ich natürlich schon immer gleich: Nein, nein, so ist es nicht. Wenn man es dann eben etwas therapeutischer – und das würde ich dann natürlich nur eher machen, wenn das jetzt ein Freund oder eine Freundin wäre, die mich konkret danach fragt: Ja, wie ordnest du es dann ein –, dann würde ich sagen: Naja, es ist doch eigentlich spannend, dass du es irgendwie unangenehm findest, dass jemand so etwas könnte. Auf der einen Seite könnte man sagen: Naja, das ist ja irgendwo auch fast ein sehr kindliches Bild zu denken, jemand anders könnte die Gedanken lesen oder so. Am Ende des Tages bin ich ja wie die Kollegen auch nur sehr lange und sehr umfangreich ausgebildet worden. Das wäre so ein Klischee. Oder wo Sie die Couch ansprechen: Ich hatte mal eine Patientin, die mir dann im Laufe der Therapie sagte, als sie damals reingekommen sei in den Raum und diese Couch gesehen hat, hat sie sich gedacht: Oh mein Gott, hoffentlich muss ich mich da nicht drauflegen. So, habe ich gesagt, na ja, also in der ersten Stunde hatten Sie das nicht gesagt. Und ist das etwas, was Ihnen eigentlich häufiger passiert? Und das ist meistens dann so, dass man ganz gut daran anknüpfen kann. Also gerade eben im psychodynamischen Arbeiten geht es ja auch viel um dieses szenische Verstehen. Also eine Szene, wie ist der Erstkontakt und was wiederholt sich? Also die Hypothese wäre ja, Dinge, die ich gut finde, die gut laufen, aber auch Dinge, die mich belasten, wiederholen sich in dieser Therapie. Also es macht einen Unterschied, ob ein Patient möglicherweise ganz fleißig mitarbeitet oder ob der wirklich einfach immer Schwierigkeiten hat, zum Termin zu kommen und darauf so ein bisschen zu gucken und das einfach vor dem Hintergrund zu beleuchten. Also, ich finde, das ist irgendwie der tollste Beruf, den es gibt für mich, und ich bin ganz froh, den machen zu dürfen.

abi»: Und er ist einfach auch unglaublich wichtig. Oft wird auch gesagt, vielleicht auch ein Klischee, dass der Beruf eben kaum Erfolgserlebnisse bietet, weil Fortschritte bei den Patientinnen und Patienten oft lange dauern. Wie gehen Sie denn mit der emotionalen Beanspruchung um? Also was machen Sie, wenn Sie selbst mal einen schlechten Tag haben?

Dr. Paul Kaiser: Ich würde sagen, das stimmt. Das sind sicherlich längere Prozesse. Der stete Tropfen höhlt den Stein. Also das ist natürlich so und auch das lernt man in der Ausbildung für den Patienten oder für jemanden Außenstehenden. Die denken dann vielleicht, insbesondere wenn Kollegen in Einzelpraxis tätig sind, also sinngemäß, die sitzen da dann 40 Stunden und arbeiten nur. Und so ist es ja eben mitnichten, sondern man ist ja dann eingebettet eben auch in ein Netzwerk. Das bedeutet, man hat Fortbildungsverpflichtungen, Intervisionen, in denen halt Fälle anonymisiert besprochen werden, und letztlich auch der Austausch darüber stattfindet. Und das ist in dem Sinne etwas, was dann durch diese Zeit natürlich einfach trägt und dass man da natürlich auch eben einfach gucken muss, welche Patientenklientel kann man behandeln, zu welchen Zeiten. Da gibt es einfach Unterschiede. Das muss ja auch immer in die jeweilige Lebensphase mit reinpassen. Das ist das eine. Und zum anderen ist es natürlich auch wichtig, vernetzt zu sein mit Kollegen, aber eben halt auch über die Berufsfachverbände. Darüber gibt es dann eben auch verschiedene Angebote zum Austausch, zur Vernetzung. Diese Verbände sind sehr wichtig, eben weil sie sich auch für gute Arbeitsbedingungen einsetzen.

abi»: Ja, also der Austausch ist auf jeden Fall auch wichtig. Und vielleicht noch zum Schluss. Wir haben jetzt viel über Klischees und Vorurteile gesprochen. Wie würden Sie sich denn wünschen, wie die Öffentlichkeit über Ihren Beruf spricht?

Dr. Paul Kaiser: Von der Öffentlichkeit würde ich mir, da habe ich schon das Gefühl, dass wir da ganz gut angekommen sind. Und ich glaube, es ist einfach wichtiger noch, dass wir natürlich einfach auch die Menschen, die Unterstützung brauchen, versorgen können. Ich glaube, es ist wichtig, dass es irgendwo selbstverständlicher wird, dass es irgendwie normal ist, dass man zum Psychotherapeuten geht. Aber das zieht sich ja letztlich in so viele Bereiche mit fort, also zum Beispiel als stigmatisiert behaftet wird oder dass jemand dann nicht so leistungsfähig sei. Dazu gibt es ja eben auch Studien, die das einfach klar widerlegen. Einfach, dass Personen, die letztlich eben bereit sind, an sich zu arbeiten und diesen Weg auf sich nehmen, dann auch deutlich gefestigter aus diesem Prozess hervorgehen. Ich habe das Gefühl, so auf die breite Öffentlichkeit bezogen stehen wir da ganz gut da.

abi»: Ja, dann danke ich Ihnen sehr für diese Einordnung, für dieses aufschlussreiche Gespräch und auch für die Einladung, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen und über Ihre Ausführungen zu dem wirklich wichtigen Beruf. Vielen Dank, Herr Dr. Kaiser.

Dr. Paul Kaiser: Vielen Dank, Frau Dr. Röder.

abi»: Das war mein Gespräch mit Dr. Paul Kaiser. Psychotherapeut/in – ein Beruf, der weit mehr ist als nur Zuhören auf der Couch. Vielleicht hast du heute zum ersten Mal einen echten Einblick bekommen, wie vielfältig, anspruchsvoll und vor allem sinnvoll dieser Beruf ist. Wenn du jetzt neugierig bist: Hier im Portal gibt es jede Menge. Klick dich durch und finde heraus, was zu dir passt. Schau dir zum Beispiel mal die Reportage Psychologie studieren bei Studium > Studienbereiche > Medizin > Gesundheitswissenschaften > Psychologie, Sport > Psychologie studieren an. Oder die Berufsreportage Verhaltenstherapeut unter Studium > Berufspraxis > Gesundheit. Das war dein abi» Podcast. Redaktion und Produktion: Dr. Nina Röder für den Meramo Verlag im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit.

Weitere Informationen

BERUFENET

Das Onlinelexikon der Bundesagentur für Arbeit bietet über 3.000 aktuelle Berufsbeschreibungen in Text und Bild. www.arbeitsagentur.de/berufenet

BERUFE.TV

Das Filmportal der Bundesagentur für Arbeit listet Filme über Ausbildungsberufe und Studiengänge. www.berufe.tv

studienwahl.de

Das Infoportal der Bundesagentur für Arbeit und der Stiftung für Hochschulzulassung informiert zu Themen rund ums Studium. www.studienwahl.de

Studiensuche

Mit der Studiensuche der Bundesagentur für Arbeit kannst du herausfinden, welche Studiengänge an welchen Hochschulen in Deutschland angeboten werden. www.arbeitsagentur.de/studiensuche

Studiencheck

Das Portal der Bundesagentur für Arbeit bietet studiengangspezifische Wissenstests (Checks) für Studieninteressierte an. Die Checks prüfen die Voraussetzungen für die Aufnahme eines Studiums an einer bestimmten Hochschule. www.studiencheck.de

Check-U – das Erkundungstool der Bundesagentur für Arbeit

Mit Check-U findest du heraus, welche Ausbildungsberufe und Studienfelder/Studienfächer besonders gut zu deinen Stärken und Interessen passen. www.check-u.de

Deutsche PsychotherapeutenVereinigung e. V.

Die Deutsche PsychotherapeutenVereinigung setzt sich für die berufspolitischen Interessen von Psychotherapeut/innen ein, fördert die Qualität psychotherapeutischer Versorgung und engagiert sich für bessere Arbeitsbedingungen sowie eine patientengerechte Gesundheitspolitik. www.dptv.de