Rubrik:
orientieren
16.06.2020
Autor:
Maril
Rubrik:
orientieren
16.06.2020
Niemand kann dir überzeugend schildern, wie schrecklich die letzte halbe Stunde vor einer mündlichen Prüfung ist. Das muss man selbst erlebt haben, um es wirklich zu verstehen. Man fiebert dem Beginn seiner Prüfung entgegen, doch gleichzeitig möchte man sie am liebsten um zwei Wochen nach hinten verschieben und sich in seinem Bett verkriechen. Ich habe jedenfalls geschwitzt, mir war kalt, meine Hände haben leicht gezittert und mir war irgendwie auch ein bisschen übel. Das klingt so, als wäre ich ein Mensch der sehr unter Prüfungsangst und Lampenfieber leiden würde, dabei komme ich mit Prüfungssituationen recht gut klar, zumindest wenn ich mittendrin bin. Prüfungen selbst finde ich gar nicht so schlimm, mich treibt eher das Warten in den Wahnsinn: Das Warten vor der Prüfung, das Warten nach der Prüfung – darauf zum Beispiel, dass die Lehrer endlich ihre Entscheidung über die Note treffen und darauf, dass man diese endlich erfährt. Diese Zeitspannen, bei mündlichen Prüfungen nur Minuten, sind für mich ziemlich nervenaufreibend. Ich bin scheinbar ein recht ungeduldiger Mensch.
Und dann ist alles ganz plötzlich vorbei. Die letzte Prüfung ist absolviert, die Schulzeit quasi beendet. Mir fällt es schwer zu beschreiben, was ich in diesem Moment gefühlt habe. Natürlich Freude und Erleichterung, als würde eine Last von mir abfallen, die ich vorher gar nicht so sehr gespürt habe. Mir war nicht bewusst, wie sehr mich die Prüfungen angestrengt haben, bis mir aufgefallen ist, dass ich in der Nacht nach meiner letzten Prüfung zwölf Stunden geschlafen habe.
Für einen kurzen Moment nach der Prüfung habe ich mich sogar ein bisschen geärgert – über die kleinen Fehler und Ungenauigkeiten und Dinge, die ich vergessen hatte zu sagen oder zu schreiben. Es war wie ein Reflex, selbst wenn die Prüfung sehr gut lief und ich unabhängig von diesen kleinen Fehlern die gleiche Note gehabt hätte, habe ich kurz gedacht: „Na, das hättest du besser bzw. anders machen können.“
Vor den Prüfungen habe ich mir ausgemalt, was ich alles machen würde, wenn dann dieser Stress vorbei wäre. Ich habe mir viel vorgenommen. Doch wenn ich jetzt auf meine To-Do-Liste schaue, empfinde ich nicht mehr die Vorfreude und Euphorie, die ich beim planen dieser Aktivitäten hatte. Vermutlich wirkte damals alles für mich verlockend, was nach den Abiturprüfungen war und nun, da diese Zeit gekommen ist, will ich einfach nur noch entspannen. Ich lege mich mit meinem Buch in einen Liegestuhl in unseren Garten und genieße einfach mal diese Woche ohne Verpflichtungen – erleichtert und unbeschwert. Ich denke, dass ich mir diese Zeit guten Gewissens nehmen kann, denn das „wahre Leben“ wird mich sowieso früh genug wieder einholen.
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