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Beruflich im Ausland unterwegs sein und dabei die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbessern: Wer sich für die Arbeit in der Entwicklungszusammenarbeit entscheidet, gewinnt neue Perspektiven und leistet einen Beitrag für die Gesellschaft. Im abi» Podcast berichtet Carolin Jarmusch über ihren Einsatz als Expertin für Nothilfe bei der Welthungerhilfe, ihren Werdegang und die besonderen Begegnungen mit den Menschen.
Wir sitzen viel im Auto, werden viel rumgeschüttelt auf den Straßen, und fahren direkt zu den Menschen vor Ort. In direkten Gesprächen kriegen wir die wichtige Rückmeldung, was läuft, was nicht läuft und was wir ändern müssen.
Carolin Jarmusch ist Expertin für Nothilfe bei der Welthungerhilfe.
Jingle: abi» - dein Podcast für die Berufsorientierung!
abi»: Hallo und herzlich willkommen zum abi» Podcast. Mein Name ist Corinna, und ich habe mich heute mit Carolin Jarmusch unterhalten. Carolin ist für die Welthungerhilfe tätig. Im Interview erklärt sie, warum es besser ist, von der Entwicklungszusammenarbeit als von der Entwicklungshilfe für zu sprechen, und welche besonderen Erfahrungen sie in ihrem Beruf bereits gemacht hat. Das Interview ist ebenfalls etwas ganz Besonderes, denn uns trennt ein großer räumlicher Abstand. Aber ich möchte nicht zu viel verraten, jetzt erst mal herzlich willkommen, liebe Carolin! Schön, dass du da bist!
Carolin Jarmusch: Danke, dass ich hier sein darf, danke!
abi»: Ich freue mich sehr, dass dieses Interview zustande kommt, denn zwischen uns liegen ein paar Kilometer. Darum frage ich dich gleich eingangs: Wo befindest du dich jetzt gerade, wenn wir dieses Interview aufnehmen?
Carolin Jarmusch: Ich befinde mich in der Stadt Goma, die ganz im Osten der Demokratischen Republik Kongo liegt. Und der Kongo liegt ziemlich zentral auf dem afrikanischen Kontinent.
abi»: Seit wann bist du denn in der Entwicklungshilfe tätig und weshalb hast du dich für diesen Beruf entschieden?
Carolin Jarmusch: Ich bin im Prinzip direkt nach dem Abitur, das war 2011, bin ich das erste Mal nach Kenia gegangen und habe da an „Weltwärts“ teilgenommen und habe da in einem Heim für Kinder, deren Mütter in Gefängnissen saßen, einfach die Arbeit der lokalen Organisation unterstützt. Und so bin ich reingerutscht, würde ich mal sagen, und hängen geblieben, aber in einem guten Sinne, und bin jetzt seit fast ein bisschen über zwei Jahren bei der Welthungerhilfe angestellt, und war da das letzte Jahr im Südsudan und bin jetzt seit November im Kongo. Und vielleicht darf ich kurz was noch einwerfen: Also, wir reden heutzutage nicht mehr richtig von der Entwicklungshilfe, sondern eher von der Entwicklungszusammenarbeit, und das würde ich auch noch mal herausstreichen, weil das, glaube ich, ganz wichtig ist, dass wir halt nicht mehr diesen Ansatz haben, dass es Länder gibt, die nur geben, und Länder gibt, die nur nehmen, sondern dass wir auf Augenhöhe mit unseren lokalen Partnern vor Ort zusammenarbeiten und die Kapazitäten vor Ort stärken.
abi»: Ja, danke, Carolin, für diesen Einwand und diese Info. Ich werde das berücksichtigen. Gibt es denn eine Art von Arbeitsalltag, und wenn ja, wie sieht der aus?
Carolin Jarmusch: Ah, das ist schwer zu sagen. Also ich würde sagen, es gibt so zwei verschiedene Arbeitsalltage. Es gibt den Alltag im Büro oder am Computer, nicht unbedingt am Schreibtisch, aber definitiv am Computer, wo ich natürlich viel mit E-Mails beschäftigt bin, aber auch viel online oder auch persönlich in Meetings sitze, einfach um unsere Projekte und unsere Arbeit vor Ort besser zu koordinieren. Und dann gibt es den Alltag, wenn ich in den Projekten vor Ort bin. Also hier in Goma haben wir unser Landesbüro, von wo wir aus im Prinzip unsere ganze Arbeit im Land steuern. Und dann haben wir im Land verteilt einzelne kleinere Büros, wo unsere Kolleg*innen vor Ort direkt mit der Bevölkerung und unseren anderen Partnerorganisationen, also kongolesischen Partnerorganisationen, zusammenarbeiten und die Projekte durchführen und implementieren. Und ich bin jetzt gerade gestern eine Woche lang, nach einer Woche lang zurückgekommen, nach Goma, und war in unseren Projekten, und da sieht der Alltag dann, ja ganz, ganz anders aus. Da bin ich dann überhaupt nicht am Computer, da bin ich dann die ganze Zeit unterwegs. Wir sitzen viel im Auto, wir werden viel rumgeschüttelt auf den Straßen und fahren direkt zu den Menschen vor Ort und sind in direkten Gesprächen, um die Rückmeldung zu kriegen, weil es ganz wichtig ist zu gucken, was läuft, aber was läuft auch nicht und was müssen wir ändern. Weil das ist natürlich unsere wichtigste Aufgabe, sicherzustellen, dass die Projekte und die Unterstützung, die wir den Menschen anbieten, auch wirklich a) ankommt und b) so ankommt, wie es wirklich gebraucht ist, sodass die Menschen in Würde und Sicherheit leben können.
abi»: Jetzt heißt unsere Rubrik, in der der Podcast veröffentlicht wird, „Berufe jenseits des Schreibtischs“, und meine nächste Frage ist: Sitzt du jemals an einem Schreibtisch, und wenn ja, wofür? Du hast es schon angedeutet, aber ich würde mich freuen, wenn du noch was dazu sagst.
Carolin Jarmusch: Also, es ist der Computer, den ich immer mitnehme. Gestern, wie gesagt, habe ich den ganzen Tag an diesem kleinen Flughafen gesessen. Jetzt sitze ich gerade in meinem Appartement am Esstisch. Also, man bleibt flexibel, man hat den Computer immer dabei, man macht das gefühlt zwischen Tür und Angel. Aber die Arbeit, die ich dann am Computer mache, am sogenannten Schreibtisch, die ist dann, ja, administrativ im Prinzip. Das beinhaltet dann viel Reporteschreiben auch. Wir müssen natürlich unseren Spender*innen und unseren institutionellen Gebern gegenüber auch genau aufzeigen, wofür denn die Gelder, die wir bekommen haben, genutzt wurden, also was genau wir in den Projekten machen.
abi»: Was ist das Spannendste an deiner Arbeit und was ist die größte Herausforderung?
Carolin Jarmusch: Ich glaube, eine große Herausforderung in der Arbeit, die ich mache, sind natürlich die persönlichen Einschränkungen, die man dafür aufgibt. Also ich denke da vor allem natürlich ein bisschen an die Freiheiten, die einfach eingeschränkt werden. Ich kann natürlich nicht die Freiheiten, die ich jetzt in Europa oder in Deutschland genieße, auch hier so ausleben. Das ist einfach durch die angespannte Sicherheitslage, die wir haben, so gegeben. Also, man muss sich das halt so vorstellen: Wir leben alle hinter hohen Mauern, wir haben alle Wächter vor unseren Häusern. Und ja, wenn ich zum Beispiel Joggen gehen will, was natürlich in Deutschland was ganz anderes ist, das mache ich hier auf unserem Parkplatz, der halt auch hinter Mauern ist, und da drehe ich dann meine Runden. Weil wir natürlich auch direkt hier im Äquator sind, geht um sechs Uhr pünktlich morgens die Sonne auf. Allerdings geht sienatürlich auch um sechs abends pünktlich unter, und das bedeutet dann de facto auch, dass der Tag rum ist. Und das ist natürlich auch eine Einschränkung, einfach weil das bedeutet, nach der Arbeit kommt man direkt wieder nach Hause und kann dann auch nichts machen. Und dann – dazu kommt natürlich noch, dass man weit weg von Familie und Freunden ist, und ja, das darf man auch nicht so, glaube ich, unterschätzen. Das ist natürlich schon sehr einschneidend, auch weil man auch nicht spontan nach Hause kann. Bei uns ist das so, dass wir immer drei Monate, also zwölf Wochen, am Stück im Land sind und dann ein bis zwei Wochen Urlaub nehmen, und dann sind wir wieder zwölf Wochen am Stück hier. Mein Highlight an meiner Arbeit, die ich mache, ist definitiv, dass ich Länder und Kulturen und Orte und Menschen kennenlerne, die ich so niemals kennenlernen würde. Das sind keine touristischen Länder, in denen ich arbeite, definitiv nicht der Kongo oder der Südsudan, wo ich jetzt die letzten zwei Jahre verbracht habe. Und ich empfinde das als ein extremes Privileg, dass ich diese Eindrücke erleben darf und diese Austausche habe. Und ja, ich, ich denke immer wieder zurück an die Essen, die wir zusammen geteilt haben im Südsudan mit meinen nationalen Kolleg*innen. Wir haben da in einem Camp gelebt, was umgeben ist von Überschwemmungen, wo man wirklich mit so einem kleinen Flugzeug reinfliegt, und wir saßen dann in unseren Zelten und haben dann stundenlang zusammen gekocht auf so offenen Feuerstellen, und haben dann zusammen das Essen genossen und festgestellt, dass wir auf der einen Seite natürlich extremst anders aufgewachsen sind, andere Hintergründe haben und dass uns doch trotzdem so viel verbindet. Das ging dann ganz spontan so, dass wir ein Radio gehört haben und wir alle mit demselben Lied aufgewachsen sind, weil wir alle die Texte des Lieds auswendig konnten. Und das ist dann irgendwie so ein schöner Moment, wo man denkt, ja, okay, es gibt so viel, was uns verbindet. Und das empfinde ich als sehr, sehr bereichernd und genieße ich sehr, diese Austausche mit der Bevölkerung und auch jetzt letzte Woche, als wir unterwegs waren, einfach zu sehen, wie die Situation vor Ort ist und wie man trotz der Umstände und dieser wirklich schwierigen Sicherheitslage, unter der die Bevölkerung so sehr leidet hier, wie wir dann trotzdem halt noch so lustige Momente und schöne Momente miteinander haben können.
abi»: Jetzt hast du schon von einem Highlight erzählt. Gibt es denn weitere besondere, prägende Momente, die du in deinem Berufsalltag erlebst?
Carolin Jarmusch: Jetzt zum Beispiel letzte Woche: Wir sind durch das Land gefahren. Es geht ziemlich hügelig bergauf, bergab, und man sieht die Frauen, auch ältere Frauen, die auf dem Kopf 50 Kilo Hölzer tragen und auf dem Rücken noch ein Kind haben und gerade vertrieben wurden, weil wieder einer der Rebellengruppen hier ihr Dorf angegriffen hat, und das geht im Kongo seit über 30 Jahren so. Und trotzdem wird dann alles zusammengepackt und woanders in einem anderen Ort neu angefangen, und man gibt nicht auf. Und das finde ich einfach extremst beeindruckend und stark, und da ziehe ich echt meinen Hut vor den Frauen, vor allem, weil sie natürlich auch in einem Kontext leben, in einem Land leben, wo sie ja kulturell und juristisch natürlich auch nicht so die Rechte haben, die ich zum Beispiel in Deutschland natürlich einfach genieße.
abi»: Du hast eingangs schon angedeutet, wie du auf die Idee gekommen bist, in diesem Bereich zu arbeiten. Ich möchte nochmal genauer nachfragen: Welche Ausbildung beziehungsweise welches Studium hast du denn absolviert und wie bist du dann letztlich auf die Idee gekommen, in der Entwicklungszusammenarbeit zu arbeiten?
Carolin Jarmusch: Also bei mir war das so, dass ich, wie ich eben anfangs erwähnt habe, nach dem Abitur mit „Weltwärts“ nach Kenia gegangen bin, und danach bin ich noch als Au-pair nach Schweden. Und das war ein ganz spezielles Erlebnis, alldieweil ich in einer Zirkusfamilie unterwegs war und so jede Woche in einer anderen schwedischen Stadt war und da gesehen habe, dass man im Süden von Schweden, in Malmö, Bachelorstudiengänge auf Englisch studieren konnte. Und so bin ich in Schweden hängengeblieben und habe meine Bachelorstudiengänge, das war einmal „Internationale Beziehungen“ und einmal „Friedens- und Konfliktforschung“, in Schweden, in Malmö, studiert. Und habe dann aber immer schon nebenbei mich sozial engagiert, war viel in meinen vorlesungsfreien Zeiten, vor allem seit 2015, auf den griechischen Inseln, also auf Samos und Lesbos, wo anfangs natürlich viele syrische und dann auch viele afghanische Geflüchtete ankamen, und habe da auch für meinen weiteren Werdegang natürlich viel praktische Erfahrungen gesammelt. Und ich habe dann meinen Master gemacht, der heißt „Internationale Humanitäre Hilfe“, und das ist ein Erasmus-Mundus-Master-Programm, was bedeutet, dass da verschiedene europäische Universitäten teilnehmen und wir – also wir waren 100 Leute, die alle gleichzeitig angefangen haben zu studieren an zehn verschiedenen Universitäten – und wir jedes Semester an einer anderen Universität weiter studiert haben und so unsere Schwerpunkte gesetzt haben. Und da war ich wieder in Schweden, am Anfang in Upsala und dann auf Malta, wo ich mich auf die Situation von geflüchteten Menschen spezialisiert habe. Und da bin ich dann in Brüssel gelandet und habe da auch meine Masterarbeit geschrieben und war da beim Roten Kreuz dann noch, und danach wieder auf Griechenland. Und dann bin ich bei der Welthungerhilfe angenommen worden. Die Welthungerhilfe hat ein Juniorprogramm für Nachwuchs-Fachkräfte. Das sind ein Zweijahresprogramm, an dem ich teilgenommen habe, wo man das erste Jahr in Bonn im Headoffice, also in unserem Hauptsitz, sitzt und da einem der Units einen der Teams zugeteilt ist. Ich war da in unserem Team für humanitäre Hilfe. Im zweiten Jahr ist man in einem der Landesbüros. Da war ich im Südsudan. Jetzt wurde ich dann übernommen nach meinem Zweijahresvertrag und bin jetzt im Kongo.
abi»: Jetzt bist du schon ganz konkret geworden. Das wäre meine nächste Frage gewesen, wie du dich auf deine Arbeit vorbereitet hast. Aber du hast es schon beantwortet. Super! Liebe Carolin, vielen Dank für die Einblicke, die du uns jetzt gegeben hast in deine Arbeit, in deine Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Dankeschön dafür!
Carolin Jarmusch: Danke dir.
abi»: Weitere Beiträge darüber, wie du im Ausland und auch für Hilfsorganisationen tätig sein kannst, findest du auf abi.de unter „Orientieren > Überbrückungsmöglichkeiten > Ausland“ und auf abi.de in den Rubriken „Studium“ oder „Ausbildung“ jeweils unter dem Stichwort „Ausland“. Das war dein abi» Podcast. Redaktion und Produktion Corinna Grümpel für den Meramo Verlag im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit.
Die Website der Bundesagentur für Arbeit bietet über 3.000 aktuelle Berufsbeschreibungen in Text und Bild.
Das Filmportal der Bundesagentur für Arbeit listet 350 Filme über Ausbildungsberufe und Studiengänge.
In der Studiensuche kannst du recherchieren, welche Studiengänge an welchen Hochschulen in Deutschland angeboten werden.
Suche nach schulischen Ausbildungen
Mit dem Erkundungstool Check-U findest du heraus, welche Ausbildungsberufe und Studienfelder besonders gut zu deinen Stärken und Interessen passen.
Die Welthungerhilfe ist eine der größten privaten Hilfsorganisationen in Deutschland. Sie ist politisch und konfessionell unabhängig und setzt sich für eine Welt ohne Hunger und für eine nachhaltige Ernährungssicherheit für alle ein.
Stand: 20.04.2023
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