Bewerbungsprozess:
„Menschen sind keine digitalen Abgleichwesen“
Vor allem neue Technologien verändern den Bewerbungsprozess. Wie genau, erklärt Steffen Fischer vom Bundesverband der Personalmanager e.V. (BPM) im Interview mit abi».
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abi» Warum verändern neue Technologien, wie etwa Künstliche Intelligenz (KI), den Bewerbungsprozess?
Steffen Fischer: Also echte KI, die freie Entscheidungen trifft und Auswahlkriterien selbst definiert wie es in Film und Fernsehen oft dargestellt wird, gibt es noch gar nicht. KI-nahe Technologien, also Algorithmen, die große Mengen von Daten auswerten, Muster erkennen sowie Automatisierungssysteme und Verwaltungssoftware mit Filtereinstellungen, dagegen schon.
Man könnte bereits heute den kompletten Recruiting-Prozess voll automatisieren. Das haben wir mit Studierenden der Uni Halle-Wittenberg nachgewiesen: Sendet die Produktionsabteilung eines Unternehmens zum Beispiel ein Signal, dass eine hohe Auslastung bevorsteht, löst das eine Stellenausschreibung aus. Algorithmen übernehmen die Vorselektion der eingehenden Bewerbungen, Chatbots führen die Bewerbungsgespräche, woraufhin ein weiterer Abgleich erfolgt. Am Ende geht ein Standardvertrag an das beste Matching nach draußen und drei Wochen später steht jemand vor der Tür, die/den noch niemand vorher im Unternehmen gesehen hat (lacht). Das ist technisch tatsächlich möglich, aber in der Form natürlich ethisch und rechtlich nicht gewollt und auch nicht vertretbar.
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abi» Heißt das, Unternehmen nutzen die Möglichkeiten gar nicht?
Steffen Fischer: Doch, sicherlich. Manche nutzen sie für Arbeitsmarktanalysen, um etwa zu ermitteln, wo sich eine Ansiedlung auch in puncto Personalgewinnung lohnt, andere optimieren ihre Stellenbeschreibungen mithilfe von Algorithmen. Was am weitesten verbreitet ist und mittlerweile bei jeder Einstellungssoftware Standard: das Ist-Profil eines Lebenslaufs mit dem Soll-Profil einer Stellenanzeige abzugleichen. Ermittelt wird dann, wie viel Prozent Übereinstimmung es gibt – der beste „Match“ wären also 100 Prozent. Das geht schon so weit, dass an alle mit unter 60 Prozent Übereinstimmung eine Absage automatisch ausgelöst werden kann, während die Software die anderen zum Vorstellungsgespräch einlädt.
Klug gemachte Chatbots helfen zudem, Zeit bei Erstanfragen zu sparen und Algorithmen werden hinzugezogen, um die Mimik, Gestik und Sprachmodulation während eines Online-Interviews zu messen. So etwas ist mehr und mehr im Einsatz, aber eben noch nicht der Standard. Standard ist hingegen, dass zuletzt immer ein Mensch über alles drüberschaut. Ich vergleiche das mit Fahrerassistenzsystemen. Wir Personaler fahren, sitzen am Steuer und gucken uns die gelieferten Daten an, weil wir wissen, wo bestimmte ermittelte Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen sind.
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abi» Nutzen die Unternehmen die erwähnten Technologien auch bei Bewerbungsverfahren für Berufseinsteigerinnen und -einsteiger?
Steffen Fischer: Ja, das wird auch für Ausbildungsplätze oder bei dual Studierenden zunehmend genutzt – von ganz großen Firmen, zum Beispiel Automobilherstellern, die 20.000 Bewerbungen für 100 Stellen bekommen. Die kleineren und mittleren sind froh über eingehende Bewerbungen und laden Bewerberinnen und Bewerber ein, die Lust haben, in der Region zu bleiben oder aufs Land zu ziehen – auch wenn das Profil auf den ersten Blick vielleicht nicht passt.
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abi» Muss ich meine Bewerbungsunterlagen für KI und Co. anders aufbereiten?
Steffen Fischer: Die Unterlagen speziell für einen Algorithmus aufzubereiten ist Quatsch. Schließlich geht es darum, sich als Mensch zu präsentieren und nicht als digitales Abgleichwesen. Dennoch: Anschreiben verlieren in beiden Fällen an Relevanz. Bei der sogenannten One-Click-Bewerbung reicht es, den Lebenslauf auf eine Online-Plattform hochzuladen. Gute Algorithmen kommen auch mit bunteren, kreativeren Lebensläufen klar. Und ich empfehle jedem, auch Berufseinsteigern mit wenig Arbeitserfahrung, sich in sozialen Business-Netzwerken anzumelden. Dort sind algorithmische Muster hinterlegt, die den angelegten Lebenslauf, die Interessen und Kenntnisse automatisch mit einem Stellenangebot abgleichen. Unternehmen, die dort die Recruiting-Einstellungen nutzen, bekommen die Matches übermittelt und können dann von sich aus auf passende Kandidatinnen und Kandidaten zugehen.
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abi» Welche Vor- und Nachteile haben diese neuen Prozesse?
Steffen Fischer: Der Bewerbungsprozess wird schlanker und effizienter, für beide Seiten. Die Hoffnungen liegen in Treffergenauigkeiten und in der größeren Mengenverarbeitung, da der Arbeitsmarkt durch die Homeoffice-Möglichkeiten größer wird, also mehr Bewerberinnen und Bewerber infrage kommen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir Menschen sind und dass es Fehler in der Programmierung oder zu grobe Einteilungen gibt. Das müssen wir alle im Auge behalten und wir Personalverantwortlichen tun das besonders. Um das Bild der Fahrassistenz noch mal zu bedienen: Bevor das Auto alleine fährt, muss bei Prozessen, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht, vieles berücksichtigt werden – und so weit sind wir noch lange nicht. Die Software wird so schnell nicht automatisch den Vertrag ausfertigen. Jedenfalls nicht bei uns, in China und den USA mag das vielleicht bald schon anders sein.
Steffen Fischer ist Leiter der Fachgruppe Strategisches Personalmanagement beim Bundesverband der Personalmanager e.V. (BPM) und Mitbetreiber der Plattform KI-HR-LAB. Die Plattform ermutigt Personalverantwortliche, das Thema Künstliche Intelligenz und Human Resources proaktiv mitzugestalten.
ki-hr-lab.de
BPM | Bundesverband der Personalmanager
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