zum Inhalt

Coaching für Eltern: Hochschulreife, keine Hochschulpflicht!

Mit der Hochschulreife in der Tasche stehen Schülerinnen und Schülern viele Türen offen. Das Studium ist dabei nur ein Weg von vielen – und lange nicht für alle der richtige.

Ein mit Stichworten wie "Studium" und "Ausbildungsplatz" beschriebenes Whiteboard.

Über Jahrzehnte erwarben Jahr für Jahr mehr Schülerinnen und Schüler die Hochschulreife, Jahr für Jahr fingen mehr junge Menschen ein Studium an. Auch wenn der Anstieg sich mittlerweile etwas abschwächt, erlebt Mandy Rusch die Tendenz zum Studium nach dem Abitur als ungebrochen.

Die Berufsberaterin der Agentur für Arbeit in Leipzig erfährt in Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern oder auch bei Informationsabenden mit Eltern immer wieder, dass nach der Hochschulreife oft nur ein Studium zählt. „Für viele ist es immer noch eine Art Automatismus: Jetzt habe ich das Abi geschafft, dann gehe ich jetzt auch studieren. In den Gesprächen ist nicht selten der Einfluss der Eltern hörbar.“ Meist mit dem Hintergedanken, dass dem Kind nur mit einem Studium die besten beruflichen Chancen offenstehen.

Selbsterkenntnis als guter Anfang

Das Foto zeigt Berufsberaterin Mandy Rusch Das Foto zeigt Berufsberaterin Mandy Rusch

Mandy Rusch

Dabei sind auch andere Aspekte für eine erfolgreiche Karriere ausschlaggebend. „Um die richtigen Entscheidungen für die berufliche Zukunft zu treffen, muss man sich selbst gut kennen“, sagt Mandy Rusch. Das ist, gibt die Berufsberaterin zu, oft viel schwerer, als es klingt. Doch es bildet die Grundlage dafür, in welchem Feld die berufliche Zukunft liegen kann, und auch, welcher Weg dorthin der richtige ist. „Die Aufgabe der Eltern ist, ihre Kinder dabei möglichst wert- und vorurteilsfrei zu begleiten und als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.“

Am Anfang stehen dabei Fragen wie: Wo liegen die Interessen und Leidenschaften, mit welchen Fächern und Themen können sie sich intensiv und lange beschäftigen, welche Hobbys und Freizeitbeschäftigungen empfinden sie als erfüllend? Wichtig für Eltern ist es, den eigenen beruflichen Werdegang und auch die eigenen Wünsche für ihr Kind auszuklammern. „Wenn Schülerinnen oder Schüler mit einem scheinbar gefestigten Berufs- oder Studienwunsch zu mir kommen, frage ich durchaus nach, welchen Beruf beziehungsweise welche Tätigkeit die Eltern ausüben“, erklärt Mandy Rusch. Gerade, wenn ein Elternteil diesem Beruf nachkommt, ist es wichtig herauszufinden, wie viel Eigenantrieb hinter dem Wunsch steckt. Die Tätigkeit der Eltern kann natürlich auch das eigene Interesse geweckt haben.

Lernen an der Hochschule anders als an der Schule

In einem zweiten Schritt sollte es dann um folgende Fragen gehen: „Wie leicht fällt das Lernen, wie organisieren sie sich selbst, können sie sich gut motivieren oder müssen Eltern ständig zum Lernen ermahnen?“, erklärt Mandy Rusch. Denn ihrer Meinung nach sagt eine bestandene Hochschulreife nicht unbedingt aus, ob die Schülerin oder der Schüler tatsächlich reif ist für eine Hochschule. „Das Lernen an der Hochschule ist völlig anders als an der Schule“, sagt die Berufsberaterin. Es erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Selbstständigkeit, an Neugier und Lernwilligkeit. „Man muss sich gut selbst motivieren können, auch für einzelne Fächer, die man vielleicht nicht so interessant findet – denn die wird es immer geben. Das muss man können und wollen“, sagt Mandy Rusch.

Als Berufsberaterin verfolgt sie Karrierewege oft über mehrere Jahre. „Rund 32 Prozent der Studierenden an der Universität geben ihr Studium auf. 25 Prozent sind es an den Fachhochschulen“, erzählt sie. Und oft liege es daran, dass der Studiengang doch nicht zu den persönlichen Interessen passt oder die Selbstdisziplin nicht ausreicht, um eigenständig und effizient zu lernen. Wer die oben erwähnten Fragen ehrlich beantwortet, kann genau das vermeiden.

Im Netz gibt es zudem zahlreiche Tests und Tools, die Schülerinnen und Schülern dabei helfen können, ihre Interessen und Fähigkeiten herauszufinden. Wie etwa Check-U – das Erkundungstool der Bundesagentur für Arbeit, das passende Studienfelder und Ausbildungsberufe ermittelt. Und natürlich stehen die Berufsberaterinnen und -berater der Agenturen für Arbeit immer für Gespräche zur Verfügung – egal ob es um die erste berufliche Orientierung, den richtigen Weg in den Traumberuf oder um Unsicherheiten während des Studiums oder der Ausbildung geht.

Entscheidungen treffen

Für Mandy Rusch gibt es sowohl für ein Studium als auch für eine Ausbildung gute Argumente. Sie plädiert dafür, sich ergebnisoffen mit beiden Wegen auseinanderzusetzen. „Wer von der Schule genug hat und nicht mehr theoretisch lernen, sondern endlich praktisch arbeiten will, für den ist eine Ausbildung das Richtige.“ Auch wem es wichtig ist, finanziell schnell auf eigenen Füßen zu stehen, ist hier auf dem richtigen Weg.

Ein Studium ermöglicht es wiederum, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen und selbst über die inhaltliche Ausrichtung mitzubestimmen. „Wer sich darauf freut, ist in einem Studium absolut richtig“, sagt Mandy Rusch. „Und natürlich gibt es auch bestimmte Berufe, wie Arzt oder Anwalt, für die man studieren muss.“ Akademikerinnen und Akademiker verdienen im Laufe ihres Berufslebens im Schnitt mehr und sind seltener arbeitslos. „Das gilt allerdings nicht für alle Bereiche“, schränkt Mandy Rusch ein. „Es gibt durchaus Berufe, in denen Meister oder Fachwirte mit Akademikern mithalten können.“

Eines ist Mandy Rusch beim Thema Berufswahl besonders wichtig: „Es gibt keine Sackgassen. Die Entscheidung für ein Studium oder eine Ausbildung ist nicht endgültig.“ So können Auszubildende später noch studieren oder alle, die am Studium zweifeln, sich doch noch für eine Ausbildung entscheiden. Und es gibt Wege, beide Bereiche zu verbinden: Ein Studium an einer Fachhochschule ist meist deutlich praxisorientierter als an einer Universität und ein duales Studium verbindet theoretisches Wissen mit regelmäßigen praktischen Einsätzen. Bei all der Vielfalt, versichert Mandy Rusch, ist für jeden der richtige Weg dabei. „Doch eine gute Orientierung braucht Zeit.“