zum Inhalt

Berufe jenseits des Schreibtischs: Polarforscher

Sie erforschen die Ursachen des Klimawandels und liefern mit ihren Studien und Berichten wichtige Erkenntnisse über unsere Erde. Wie der Alltag von Polarforscherinnen und Polarforschern aussieht und was das Spannendste an dem Beruf ist, beantwortet der abi» Podcast.

  • Portrait von Polarforscher Dr. Marcel N.

    Das Spannendste an meinem Beruf ist, dass es immer neu und immer anders ist, dass man in Regionen und Gegenden kommt, wo man sonst nicht hinkommt, dass man mit ganz vielen ganz tollen Kollegen zusammen­arbeitet, die auch diesen Forschergeist haben, die auch so eine gewisse Lebenseinstellung haben.

    Dr. Marcel Nicolaus arbeitet als Polarforscher für das Alfred-Wegener-Institut.

Textversion des Podcasts zum Lesen (Audio-Transkript)

Jingle: abi», dein Podcast für die Berufsorientierung

abi»: Hallo und herzlich willkommen zu deinem abi» Podcast. Mein Name ist Corinna, und ich habe mich heute mit dem Polarforscher Dr. Marcel Nicolaus unterhalten. Er hat mir erzählt, wie lange er manchmal an einer Eisscholle sitzt, wann er Zeit am Schreibtisch verbringt und womit er sich dann beschäftigt und was seinen Beruf so besonders und gleichzeitig herausfordernd macht. Viel Spaß beim Zuhören!

Herzlich willkommen, Herr Dr. Marcel Nicolaus, zu unserem heutigen Podcast. Dr. Marcel Nicolaus ist Meereisphysiker und Klimawissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut, und wir sprechen heute mit ihm über seinen Beruf als Polarforscher. Dazu habe ich ein paar Fragen vorbereitet und ich freue mich über Ihre Antworten. Und zwar ist meine erste Frage direkt: Wo befinden Sie sich jetzt gerade, wenn wir diesen Podcast aufnehmen?

Dr. Marcel Nicolaus: Ja, hallo zusammen, erst mal guten Tag! Ich bin gerade hier in Bremerhaven in meinem Büro und stehe an meinem Rechner, um dieses Interview zu führen.

abi»: Okay, das heißt, sie sind tatsächlich an einem Schreibtisch. Darauf werden wir heute noch mal eingehen. Wie häufig und wie lange sind Sie in polaren Gebieten und auf dem Meer unterwegs?

Dr. Marcel Nicolaus: Das ist wirklich sehr unterschiedlich. Also, wenn man es über meine letzten 20 Jahre mittelt, würde ich sagen, ich bin einmal im Jahr unterwegs. Das sind dann mal kleinere, mal größere Expeditionen, vielleicht alle zwei Jahre eine größere Expedition, das sind in der Regel um die zwei Monate. Die kleineren sind so zwei bis vier Wochen. Das sind die Feldarbeiten, die ich wirklich im Eis bin.

abi»: Würden Sie sagen, dass es einen Arbeitsalltag als Polarforscherin, als Polarforscher gibt, und wenn ja, wie sieht der aus?

Dr. Marcel Nicolaus: Es gibt sehr verschiedene Alltage. Ein Alltag an Bord einer Expedition ist natürlich ein ganz anderer als ein Alltag hier in meinem Büro oder der Alltag auf Konferenzen oder der Alltag bei der Vor- und Nachbereitung der Expedition.

abi»: Das heißt, Sie haben da verschiedene Varianten eines Arbeitsalltags.

Dr. Marcel Nicolaus: Den Alltag an sich, den gibt es nicht, und ich glaube, das ist ein ganz großes Charakteristikum dieser Wissenschaftsarbeit, wie wir sie machen, dass immer alles zum ersten Mal ist, immer wieder alles neu ist, immer wieder alles anders ist.

abi»: Wie sieht denn das Arbeiten aus, wenn Sie in polaren Gebieten oder auf einem Schiff unterwegs sind?

Dr. Marcel Nicolaus: Ja, wie Sie schon sagten, meine größten Expeditionsteile mache ich von Schiffen aus, also in dem Fall von der „Polarstern“, dem deutschen Forschungseisbrecher, und dort hat man einerseits einen halbwegs geregelten Tagesablauf, weil man versucht, auch in diesen zwei Monaten auf See eine Tages- und Wochenstruktur beizubehalten, die das ganze Leben ein bisschen erleichtert. Andererseits ist es so, wenn wir gerade Messzeit haben auf einer Station, wenn ich zum Beispiel weiß, ich bin jetzt die nächsten 18 Stunden an dieser einen Eisscholle, dann gibt's eigentlich nur eins: Dann wird an dieser Eisscholle so viel gearbeitet, geforscht, Geräte installiert, Daten erhoben, wie möglich. Dann habe ich danach vielleicht wieder ein, zwei Tage, wo andere Gruppen ihre Stationsarbeiten haben. In denen kann ich mich a) wieder ein bisschen erholen und b) die Daten aufbereiten, die nächsten Stationen vorbereiten.

abi»: Sie hatten jetzt noch erwähnt, dass Sie auch auf Tagungen unterwegs sind. Wie viel Prozent Ihres Alltags oder Ihrer Arbeitszeit nimmt sowas ein?

Dr. Marcel Nicolaus: Tagungen sind für mich in der Regel zwei, sagen wir vielleicht wirklich drei wirklich größere Tagungen, die dann eine Woche oder länger dauern, und dazu gibt es eine Vielzahl kleiner Workshops und Projekttreffen. Diese wissenschaftliche Arbeit ist extrem international organisiert, sehr stark international verflochten, und um all diese Programme der einzelnen Partner und Kollegen zusammenzukriegen, ist viel an Besprechungen und an Planungen nötig. Andererseits kommen von diesen Besprechungen, von diesen Tagungen halt auch die Ideen. Da kommen die Pläne für neue Expeditionen, für neue Fragen. Das ist so das, was dieses Leben in der Wissenschaft am Ende ausmacht.

abi»: Die restliche Zeit Ihres Arbeitsalltags verbringen Sie, wie Sie eingangs schon gesagt haben, am Schreibtisch. Das nimmt meine nächste Frage jetzt vorweg. Sitzen Sie jemals am Schreibtisch und wenn ja, wofür?

Dr. Marcel Nicolaus: Ja, ja, ich sitze in der Tat regelmäßig am Schreibtisch, die wissenschaftliche Datenarbeit, also, wenn wir die Daten gewonnen haben im Feld, die wollen ausgewertet werden. Es geht darum, am Rechner zu sitzen. Das sind dann mathematische Tools, mit denen ich dann Daten auswerte, mit denen ich Daten darstelle. Wir schreiben Publikationen, ich schreibe Berichte für Projekte, ich muss Forschungsanträge schreiben, also, und das sind dann Schreibtischarbeiten, ob die jetzt explizit am Schreibtisch stattfinden oder unterwegs oder sonst wo, das mag etwas variieren, aber dieser Büroteil ist schon ein großer Teil. Ich finde aber auch ein sehr wichtiger Teil, weil auch der zum Beispiel hier zu Hause eine Arbeitsgruppe zusammenbringt.

abi»: Wie kommen Sie an neue Projekte und neue Expeditionen?

Dr. Marcel Nicolaus: Am Anfang von diesen Projekten steht immer die Idee, meistens die Frage nach etwas, was man gerne besser untersuchen, besser verstehen möchte. Und dann überlegt man sich, wie kann ich das machen, wie kann ich diese Daten erzielen, wie kann ich diese Erkenntnis gewinnen? Und dann haben wir natürlich einen gewissen Rahmen, in dem das möglich ist. Also ich kenne unsere Forschungsstation, ich kenne „Polarstern“, das Schiff, ich weiß, was internationale Kollegen machen. Wir haben Polarflieger, verschiedenste Dinge. Und dann überlegt man gut, wenn ich diese logistischen oder diese Infrastruktur zusammenfasse, wie kann ich damit Wissenschaft betreiben? Und dann setze ich mich hin und schreibe einen Förderantrag: Wir hätten gerne dafür, dass ich in den nächsten drei Jahren an dem und dem Thema arbeiten kann, so viele Tausend Euro für meine Stelle, für Verbrauchsmaterialien und im Endeffekt auch für die Expedition.

abi»: An welches Erlebnis denken Sie besonders gerne zurück?

Dr. Marcel Nicolaus: Einer meiner wirklichen Lieblingsmomente ist noch gar nicht so lange her. Das war im Dezember 2019 in der tiefen arktischen Nacht während der Expedition „Mosaik“ von „Polarstern“, als wir losgezogen sind auf Ski einige Kilometer weg vom Schiff um Positionsbojen auszubringen, dass der andere Eisbrecher, der uns abholen kommen sollte, einen Weg findet, ohne das Camp zu zerstören. Und als wir dann einige Kilometer weg waren, in der absoluten Dunkelheit, könnte man sagen, weg vom Schiff, weg von allen Geräuschen in dieser kalten arktischen Nacht: Das war ganz besonders. Es schien der Vollmond, der beleuchtete das Eis, er hat es unglaublich hell gemacht. Also die Faszination der Polarregion, auch der Antarktis, die haben eben schon dieses Potenzial zu sagen, ja, das ist eine wirklich bemerkenswerte Landschaft, Umgebung, die so anders ist als alles, was wir hier kennen. Und das löst eine große Faszination aus, immer wieder in verschiedenen Formen, aber das ist ein Erlebnis, was mich auf jeden Fall immer wieder daran erinnert.

abi»: Dann ist die nächste Frage auch ganz einfach für Sie zu beantworten, und zwar: Was ist das Spannendste an Ihrem Beruf und was ist die größte Herausforderung?

Dr. Marcel Nicolaus: Das Spannendste an meinem Beruf ist, dass es immer neu und immer anders ist, dass man in Regionen und Gegenden kommt, wo man sonst nicht hinkommt, dass man mit ganz vielen ganz tollen Kollegen zusammenarbeitet, die auch diesen Forschergeist haben, die auch so eine gewisse Lebenseinstellung haben. Das macht es auf jeden Fall immer sehr nett und sehr gut auf den Expeditionen. Die größte Herausforderung in meinem Job, glaube ich, liegt darin, die Ergebnisse immer wieder so auf den Punkt zu bringen, dass sie dann auch gut kommuniziert werden können, dass es weitergeht und dass man dabei den Bezug zu dem behält, was wirklich auch wichtig ist und wie das mit der Arbeit von anderen zusammenpasst.

abi»: Weshalb haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?

Dr. Marcel Nicolaus: Schon als Schüler, vor allem in der Oberstufe, war eine Faszination für die Polarregion besonders groß, damals für die frühen Forscher wie Amundsen oder Nansen, wie die sich damals vor inzwischen über 100 Jahren, 130 Jahren, aufgemacht haben, die Polarregionen zu erforschen. Und dann habe ich mitbekommen, dass es an der Universität Münster einen Schwerpunkt in der Geophysik in Polarforschung gibt, und damit dachte ich mir, das wäre doch toll. Also einerseits die Physik, was mir liegt, was ich gut konnte, mit dem zu verbinden, was mich persönlich interessiert hat, mit den Polarregionen, das war ein Ansatz, der mich sehr fasziniert hat. Und dann habe ich angefangen, dort Geophysik zu studieren und dann Richtung Diplom eine Vertiefung in polaren Prozessen zu machen. Ja, und danach gab sich so das eine zum anderen, man hat eine Diplomarbeit geschrieben. Später hatte ich das Glück, dann auch eine schöne Doktorarbeit zu schreiben, ja, und dann sich so von Projekt zu Projekt, von Stelle zu Stelle gehangelt.

abi»: Damit haben Sie auch direkt schon meine nächste Frage nach Ihrer Ausbildung bzw. Ihrem Studium beantwortet. Super!

Dr. Marcel Nicolaus: Ja, was ich in der Arbeit als Wissenschaftler einerseits interessant finde, aber andererseits muss man auch so ein bisschen davor warnen, ist diese große Flexibilität und die vielen Stellen, die auf Zeit ausgeschrieben sind. Mir hat es ermöglicht, zum Beispiel für drei Jahre in Norwegen zu arbeiten und dort zu sehen, wie die Wissenschaft in ähnlicher Form aber halt woanders läuft, oder ein halbes Jahr in Kanada zu verbringen, um dort Einblicke zu bekommen. Das ist einerseits ein großer Reiz, die Welt zu sehen und mit anderen Kollegen zu arbeiten, zu forschen. Andererseits ist halt eben diese sichere Komponente, „ich habe einen Job, der mich garantiert für die nächsten zehn, 20, 30 Jahre ernährt und mir Sicherheit gibt“, die ist ganz oft nicht gegeben. Meine Hauptmotivation ziehe ich in dem Fall wirklich aus dieser Kombination der Feldmessungen und damit auch Erlebnisse und am Ende der Kommunikation und der Vermittlung. Wenn man Leuten erzählen kann, was man in meinem Fall der Polarregion gesehen hat, was es auch für uns bedeutet, wenn man sieht, das Ganze, was wir in der Forschung machen, vor allem im Aspekt auf Klimaforschung, auf die Veränderung. Es hat eine Relevanz für uns hier, und das ist auf jeden Fall für mich eine sehr wichtige Motivation.

abi»: Das klingt nach einem sehr schönen Schlusswort.

Dr. Marcel Nicolaus: Ja, wunderbar!

abi»: Dankeschön, Herr Dr. Nicolaus. Vielen herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben und sich die Mühe gemacht haben, auf meine Fragen einzugehen.

Dr. Marcel Nicolaus: Ja, bitte schön.

abi»: Weitere Beiträge zum Thema Berufe in der Klimaforschung findest du auf abi.de unter „Orientieren“ > Was will ich, was kann ich? > Ich will was machen mit… > Berufe für die Klimawende, unter „Studium“ > Was kann ich studieren? > Mathematik, Naturwissenschaften > Bio, Umweltwissenschaften, unter „Studium“ > Berufspraxis > Landwirtschaft, Natur, Umwelt > Klimaforscher und unter „Studium“ > Weiterbildung und Karriere > Meteorologin. Weitere Podcasts findest du auf abi.de > Interaktiv > Podcasts. Das war dein abi» Podcast. Redaktion und Produktion Corinna Grümpel für den Meramo Verlag im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit.

Weitere Informationen

Alfred-Wegener-Institut

Das Alfred-Wegener-Institut forscht in den Polarregionen und Ozeanen der mittleren und hohen Breiten.

https://www.awi.de/ 

BERUFENET

Die Webseite der Bundesagentur für Arbeit bietet über 3.000 aktuelle Berufsbeschreibungen in Text und Bild.

www.arbeitsagentur.de/berufenet

BERUFE.TV

Das Filmportal der Bundesagentur für Arbeit listet 350 Filme über Ausbildungsberufe und Studiengänge.

www.berufe.tv 

Studiensuche der Bundesagentur für Arbeit

In der Studiensuche kannst du recherchieren, welche Studiengänge an welchen Hochschulen in Deutschland angeboten werden.

web.arbeitsagentur.de/studiensuche

Berufsausbildung und mehr

Ausbildungsplatzsuche der Bundesagentur für Arbeit

www.arbeitsagentur.de/berufsausbildung

Check-U – das Erkundungstool der Bundesagentur für Arbeit

Mit dem Erkundungstool Check-U findest du heraus, welche Ausbildungsberufe und Studienfelder besonders gut zu deinen Stärken und Interessen passen.

www.check-u.de