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Dr. Emilia Roig: Gegen Ungerechtigkeiten kämpfen

Wie wird man eigentlich Rassismusexpertin? Im Interview mit abi» erzählt Dr. Emilia Roig, was ihren Beruf umfasst, wie sie zu ihrer jetzigen Tätigkeit gelangte und warum es sich lohnt, gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen.

Porträtfoto von Emilia Roig

abi» Frau Dr. Roig, Sie sind Politologin, Autorin, Gründerin und Geschäftsführerin vom Center for Intersectional Justice (CIJ), Dozentin und Expertin für intersektionelle Rassismusforschung: Wie würden Sie selbst Ihren Beruf bezeichnen?

Dr. Emilia Roig: Mittlerweile sage ich wohl meistens, dass ich Sachbuchautorin bin. Ich lege mich aber nicht so gerne auf die Frage fest – am Ende kann man meinen Beruf wohl am besten so beschreiben, dass ich versuche, gesellschaftliche Diskurse rund um soziale Ungleichheiten zu verändern. Einfach gesagt: Ich arbeite dafür, dass alle Menschen die gleichen Rechte und genug Geld haben, um zu leben.

abi» Das sind ja wirklich vielfältige Tätigkeiten beziehungsweise Berufsbezeichnungen: Wie sieht Ihr beruflicher Alltag aus? Gibt es einen solchen überhaupt?

Dr. Emilia Roig: Einen Alltag gibt es schon. An einem Tag wie heute bringe ich mein Kind um 8 Uhr in die Schule und habe danach einen durchgetakteten Kalender – heute zum Beispiel umfasst er sechs Programmpunkte, unter anderem Interviews wie dieses. Außerdem halte ich Präsentationen oder leite Workshops zum Thema Diskriminierung, die in Unternehmen oder Institutionen stattfinden. Die Monate Juli und August sowie Dezember und Januar sind für mich „frei“ – das bedeutet, ich arbeite hier für mich, gebe keine Workshops oder Interviews und nehme mir stattdessen Zeit zum Schreiben, entwickele Projekte und lade die Akkus in der Natur beim Wandern oder anderen Aktivitäten wieder auf. Wenn ich gerade ein Buch schreibe, mache ich dies auch gerne mal zehn Tage auf dem Land, um mich nur darauf fokussieren zu können.

abi» Wie kamen Sie zu diesem Beruf?

Dr. Emilia Roig: Das war eine Entwicklung. Ich wollte schon immer in einem Bereich arbeiten, in dem Armut und Ungerechtigkeit bekämpft werden. In meiner Kindheit war ich sehr berührt von Ungerechtigkeiten, denn meine Mutter erzählte mir von ihren Erfahrungen mit Rassismus und Armut. Schon damals fragte ich mich, warum ich viel privilegierter als meine Mutter in demselben Alter aufwuchs. Daher studierte ich Politikwissenschaften und arbeitete schließlich für die UN in Uganda, Tansania, Kenia und Kambodscha. Irgendwann wurde diese Arbeit träge für mich, ich sah keine Veränderungen und beschloss, in die Forschung zu gehen. Zurück in Europa promovierte ich zum Thema Ungerechtigkeit und fokussierte mich auf den europäischen Raum, da ich hierzu mehr Bezug hatte. Im Anschluss an meine Doktorarbeit gründete ich meine Organisation, das CIJ, und so gelangte ich schließlich zu meinem jetzigen Beruf. Inzwischen bin ich weniger aktiv im CIJ und fokussiere mich eher auf die Arbeit als Person des öffentlichen Lebens und meine Arbeit als Autorin.

abi» In Ihrem Buch „Why We Matter” thematisieren Sie in erster Linie die Verstrickung von Alltagsrassismus mit anderen Formen der Diskriminierung. Dabei gehen Sie auch auf Ihr Privatleben ein. Wie trennen Sie das Private vom Beruflichen?

Dr. Emilia Roig: Gar nicht (lacht). Das Private vom Beruflichen zu trennen, ist in meinem Job unmöglich. Diskriminierung und Unterdrückung sind Teil meiner erlebten Welt, weshalb ich diese Erfahrungen in meiner Arbeit nicht einfach „ablegen“ kann. Was mir aber mittlerweile besser gelingt, ist, die Person des öffentlichen Lebens Emilia Roig von jener, die ich privat bin, zu trennen. Neben öffentlichen Auftritten ist es für mich etwa sehr schön, Menschen auf dieser privaten Ebene kennenzulernen – etwa beim Wandern.

abi» Wer oder was inspiriert Sie?

Dr. Emilia Roig: Frauen, die es schaffen, authentisch und ihrer Botschaft treu zu bleiben – selbst wenn es unbequem ist oder sie unbeliebt macht. Generell sind Bescheidenheit und Authentizität Werte, die mich sehr bei anderen Menschen inspirieren.

abi» Was würden Sie Jugendlichen raten, die beruflich gerne im Bereich Rassismus-/Diskriminierungs-Forschung tätig werden möchten?

Dr. Emilia Roig: Macht das, was euch am Herzen liegt, aus Leidenschaft und mit emotionalem Bezug. Setzt euch mit sozialen Bewegungen auseinander, die euch interessieren – es gibt mittlerweile so viele gute Bücher über Gleichberechtigungsthemen, die auch für jüngere Leserinnen und Leser zugänglich sind. Außerdem ist es von Vorteil, ein Studium wie Politikwissenschaft oder Soziologie zu absolvieren. Hierbei lernt man, sich mit gesellschaftlichen Strukturen auseinanderzusetzen und diese zu hinterfragen. Und als Letztes: Verliert nicht die Freude an dem, was ihr tut! Gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen ist mühsam und kann deprimierend sein – es kann aber genauso gut Freude bringen. Vor allem aus einer privilegierten Situation wie der meinen kann es ein gutes Gefühl sein zu wissen: Ich trage zu einer größeren Bewegung bei!

Über Dr. Emilia Zenzile Roig

Emilia Zenzile Roig wurde 1983 in Frankreich geboren. Sie ist Politologin, Sachbuchautorin und Expertin für Rassismusforschung. Europaweit hält sie Vorträge zu den Themen Intersektionalität (= verschiedene Ebenen der Diskriminierung einer Person gegenüber), Feminismus, Rassismus, Vielfalt und Inklusion. Sie ist Leiterin der gemeinnützigen Organisation Center for Intersectional Justice (CIJ), die auf eine inklusivere Gestaltung der europäischen Gesetzgebung abzielt.

Weitere Informationen

Center for Intersectional Justice e.V.

www.intersectionaljustice.org