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Dr. Sigrun Nickel vom Gemeinnützigen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)
Mehr als 70.000 Immatrikulierte studieren ohne Hochschulreife an einer deutschen Hochschule, und jährlich werden es mehr. Dr. Sigrun Nickel vom Gemeinnützigen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) erklärt im abi» Interview, welche Voraussetzungen man dafür braucht und welche Studiengänge besonders beliebt sind.
abi» Frau Dr. Nickel, unter welchen Voraussetzungen kann man auch ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung studieren?
Dr. Sigrun Nickel: Man braucht dafür mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung. Mit Ausnahme von Hessen und Rheinland-Pfalz müssen in allen Bundesländern zusätzlich noch zwei bis drei Jahre Berufserfahrung nachgewiesen werden, dann wird das in der Regel mit der fachgebundenen Hochschulreife gleichgesetzt. Das bedeutet, dass ein Fach, welches der Ausbildung inhaltlich nahesteht, studiert werden kann. Vor der Zulassung an der Hochschule ist meist das Bestehen einer Eingangsprüfung oder das Absolvieren eines Probestudiums nötig. Wer jedoch zusätzlich zur Berufsausbildung noch eine Aufstiegsfortbildung, beispielsweise zum/zur Meister/in, Fachwirt/in oder Techniker/in, absolviert hat, kann etwa nach einem Beratungsgespräch an einer Hochschule seiner Wahl einen Zugang erhalten, welcher der allgemeinen Hochschulreife entspricht. Damit stehen Studienmöglichkeiten in allen Fachrichtungen offen. In künstlerischen Studiengängen kann man den fehlenden Schulabschluss durch ein besonders gutes Ergebnis bei der künstlerischen bzw. studiengangspezifischen Eignungsprüfung kompensieren. Das nennt sich dann „Nachweis der besonderen künstlerischen Begabung“.
abi» Sind die Regelungen zur Zulassung ohne Abitur in allen Bundesländern gleich?
Dr. Sigrun Nickel: Jedes Bundesland hat eigene Zugangskriterien zu Hochschulen. In Hamburg hat die erste Hochschule schon im Jahr 1950 Studierende ohne Abitur zugelassen. In Niedersachsen geht das seit den 1970er Jahren. Im Jahr 2009 hat die Kultusministerkonferenz dann alle Länder selbstverpflichtet, Regelungen für beruflich Qualifizierte zu treffen. Die Umsetzungen sind aber unterschiedlich. So kann man beispielsweise in Hessen und Rheinland-Pfalz mittlerweile auch nur mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung ohne weitere Berufserfahrung zugelassen werden.
abi» Wo kann ich mich über die Zulassungsvoraussetzungen in meinem Bundesland informieren?
Dr. Sigrun Nickel: In dem Webportal studieren-ohne-abitur.de des CHE gibt es neben allgemeinen Informationen zum Thema Länderseiten, auf denen die einzelnen Regelungen zu finden sind. Auch die Hochschulen und die Ministerien der Länder haben die Zugangsvoraussetzungen auf ihren Internetseiten veröffentlicht. Wenn man sich eine Hochschule ausgesucht hat oder in der Nähe wohnt, empfehle ich, Kontakt aufzunehmen. In einem Beratungsgespräch lässt sich individuell klären, welche Schritte für eine Zulassung nötig sind.
abi» Nutzen beruflich Qualifizierte den Zugang zur Hochschule?
Dr. Sigrun Nickel: Die Zahl der Studierenden ohne Abitur ist stark gewachsen. Waren im Jahr 2010 noch gut 25.000 ohne Abitur eingeschrieben, ist für 2021 ein neuer Höchststand von rund 70.000 zu verzeichnen. Auch die Anzahl der Studienbeginnenden ist gestiegen von gut 9.000 im Jahr 2010 auf rund 16.000 im Jahr 2021. Rund 54 Prozent davon waren Frauen. Dass das Studium ohne Abitur erfolgreich absolviert werden kann, zeigt die Anzahl der erfolgreichen Abschlüsse: 2010 erwarben 2.856 beruflich Qualifizierte, 2021 schon 9.560 ohne Abitur einen Bachelor- oder Master-Titel.
abi» In welchen Fächern ist Studieren ohne Abitur besonders beliebt?
Dr. Sigrun Nickel: Am beliebtesten sind Studiengänge in den Wirtschaftswissenschaften, dem Sozialwesen und den Ingenieurwissenschaften, hier vor allem Informatik. Aber auch in den Gesundheitswissenschaften ist eine steigende Nachfrage zu beobachten, was mit der verstärkten Akademisierung der Pflegeberufe zusammenhängt. Selbst in den Medizin- und Pharmaziestudiengängen gibt es einen Anstieg. Im Jahr 2021 studierten 1.069 Personen ohne Abitur Medizin und Zahnmedizin, gut 200 waren für Pharmazie eingeschrieben. Insgesamt sind die anwendungsorientierten Fachhochschulen bei Studierenden ohne Abitur am beliebtesten: 2019 studierten hier 65 Prozent, während 30 Prozent an Universitäten und 5 Prozent an Kunst- oder Musikhochschulen eingeschrieben waren.
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Dr. Sigrun Nickel vom Gemeinnützigen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)
Stand: 05.05.2023
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