Reittherapeutin:
„Pferde nehmen den Menschen, wie er ist“
Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd kann Linderung bei psychischer oder physischer Beeinträchtigung verschaffen. Da Reittherapeut/in als Beruf nicht geschützt ist, gilt es bei der Wahl der Weiterbildung genau hinzuschauen. Franziska Maiß hat sich hierbei für das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten entschieden.
Milas fasst tief in Sammys Fell. Das Pony ist zottelig und haarig, vor allem aber weich und warm. Streicheln kann man es und wuscheln, behutsam kämmen und bürsten. „Guck mal, Milas, der Sammy findet das auch gut“, sagt Franziska Maiß. Sammy wittert Zustimmung und kaut weiter am Strick. Milas lacht – das ist gut. Wenn Milas lacht, entspannt er sich. Und wenn Milas sich entspannt, dann schmerzen ihm die Beine nicht mehr so sehr. Auch nicht die Arme. Dann kann der ganze kleine Körper loslassen und zur Ruhe finden.
Milas ist sechs Jahre alt und krank. Seit neun Monaten kommt er regelmäßig zum Reittherapiezentrum der Lebenshilfe in Lauf an der Pegnitz. Hier arbeitet Franziska Maiß als eine von zwei Reittherapeutinnen. Und wer dabei an Wendy-Mädchen und verträumte Ausritte über Blumenwiesen denkt, liegt ziemlich daneben.
Franziska Maiß
Foto: Katharina Wasmeier
Es ist „harte Arbeit bei Wind und Wetter“, so Franziska Maiß, die durch knöcheltiefen Schlamm und Mist steigt, um Dino einzufangen, einen von sechs Vierbeinern, die hier die wahren Protagonisten sind: „Pferde nehmen den Menschen, wie er ist“, erklärt die 31-Jährige. „Bedingungslos.“ Nach einer Vergangenheit in einer Reiterfamilie und inklusiven Montessori-Schule war für Franziska Maiß nach einem Praktikum im Kopf besiegelt, was der Bauch längst entschieden hatte: „Reittherapeutin – das ist mein Beruf.“
Der Weg, um mit der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd in einer von sieben reittherapeutischen Disziplinen der Reittherapie arbeiten zu können, kann sehr unterschiedlich aussehen – und war für Franziska Maiß darum umso klarer: Weil Reittherapeut/in keine geschützte Berufsbezeichnung ist, kann im Prinzip jeder Mensch mit Pferd sich so nennen. Eine entsprechende Weiterbildung bietet das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V. (DKThR) in Warendorf, das an die deutsche reiterliche Vereinigung (FN) angeschlossen ist. „Die FIFA fürs Reiten“, urteilt Franziska Maiß. Die FN ist der Dachverband aller Züchter, Reiter, Fahrer und Voltigierer in Deutschland.
Um diese Weiterbildung machen zu können, muss man Voraussetzungen mitbringen: Den C-Trainerschein für Reiten oder Voltigieren (von der FN), Abschluss eines einschlägigen Fachschulbildungsgangs des Sozialwesens oder Nachweis einer mindestens gleichwertigen pädagogischen bzw. psychologischen Vorbildung sowie 40 Stunden Praktikum.
In der mittlerweile staatlich anerkannten Weiterbildung in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd wird zwei Jahre berufsbegleitend in Form von zehn jeweils fünftägigen Modulen intensiv gearbeitet. Die Inhalte: Vermittlung von Theorie und Praxis, Hospitation in heilpädagogischen Fördermaßnahmen mit dem Pferd, Selbsterfahrung, kollegiale Beratung und Supervision, Praktikum, Selbstlernphasen, Videodokumentation, Projektarbeit sowie Schreiben der Projektarbeit mit anschließendem Colloquium. Kostenpunkt: 4800 Euro. Der Nutzen: für Franziska Maiß unbezahlbar.
Die Ausbildung zur Sozialbetreuerin absolvierte sie, weil ihr diese zur Mittleren Reife verhalf und damit zum Platz in der Fachschule für Heilerziehungspflege im mittelfränkischen Neuendettelsau. Mit dem Trainerschein C Voltigieren meldete sich Franziska Maiß am DKThR für die verkürzte Weiterbildung in pferdegestützter Pädagogik an.
Arbeiten mit Mensch und Pferd, das klingt erstmal nach Wärme und Geborgenheit, nach Berührung und Umarmung, die „vor allem erwachsene Menschen mit Behinderung kaum erfahren“. Nach Kuscheln, irgendwie. Nach „Unterstützung für jeden, der Hilfebedarf hat“, sagt Franziska Maiß und erzählt aus ihrem Alltag, der nach Freizeit klingt und doch Arbeit ist.
Bei Wind und Wetter ist sie draußen, in der Halle, auf dem Platz, im Wald. Zu dritt oder in großer Gruppe, wenn nicht gerade Pandemie ist, ist „alles individuell, alles möglich, alles bunt“, je nachdem, welche Wünsche, Ziele, Ideen die Menschen haben. Menschen mit Autismus, mit Downsyndrom oder mit fetalem Alkoholsyndrom.
Und wie Hannes, der mehrfach schwerstbehindert ist und nicht sitzen kann. Liegen schon, auf dem Rücken des Pferdes. Die Arme hängen lassen, die Füße auch, alles wird weich. „Ein Sprichwort sagt: Auf dem Pferd hat jeder Mensch vier gesunde Beine“, sagt Franziska Maiß, die genau weiß, was wem guttut, und zu deren Job es nicht nur gehört, mit großer Verantwortung die Tiere ihren Menschen zuzuordnen, sondern auch, sie für die Therapie auszubilden.
„Das Pferd trägt einen und wiegt, das ist eine unheimlich schöne Erfahrung.“ Manche Menschen brauchen klare Regeln, die sie befolgen können, manche die Enttäuschung, um zu lernen, wie sie sie aushalten. Manche brauchen Galopp und Springen, um Mut zu haben und Kraft. Manchen reicht es, etwas geschafft zu haben. Milas schafft es, Sammy aus der Box zu führen, den Sattel zu holen, das Pony zu striegeln – das gibt ihm Selbstvertrauen. Der immer gleiche Ablauf gibt ihm Sicherheit. Beides braucht es, um ans Ziel zu gelangen: „Ein Leben in Selbstständigkeit führen zu können.“ Der Weg dorthin ist so individuell wie die Menschen es sind: Turnen auf dem Pferd oder lieber Bodenarbeit ausprobieren. Konzentration und Fehlertoleranz üben, Springreiten lernen oder Misserfolge aushalten. Wie der Weg aussehen kann, das findet die Reitpädagogin in ersten Gesprächen mit den Menschen, Kindern und deren Eltern heraus.
Mit welcher Idee die Eltern zu ihr kommen, lässt Franziska Maiß sich erst erklären, nachdem sie die realen Möglichkeiten kennt und einen Therapieplan aufstellen kann. „Mein Kind soll endlich schlafen können“ oder „Ich möchte keine Angst mehr vor der Schule haben“ kann ebenso ein Wunsch sein wie „Ich möchte Springreiterin werden“ oder „Ich ertrage euch nicht mehr“.
Auch für sie als Therapeutin ist es eine Herausforderung. Aushalten gehört dazu. Dass die Menschen krank sind und wütend. Dass es Körperkontakt gibt und Speichel, dass es dreckig ist und anstrengend. „Man braucht Durchhaltevermögen.“
Durchgehalten hat auch Milas. Nach 15 Minuten im geführten Schritt über den Platz ist er erschöpft, hat keine Lust mehr. Muss er auch nicht. Was von außen aussieht wie lockeres Vergnügen, ist für den Sechsjährigen harte Arbeit: Gleichgewicht halten, gerade sitzen und dabei noch die Katze auf dem Zaun bewundern. Milas freut sich. Seine Mutter auch: Gleichgewicht und Körperwahrnehmung des Jungen sind so viel besser geworden. Das extreme Speicheln des Jungen damit auch.
Das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. (DKThR) ist ein Fachverband zur Förderung des Therapeutischen Reitens. Seine Weiterbildungen bedürfen je nach gewählter Disziplin unterschiedlicher Voraussetzungen, mindestens aber eines (staatlich) anerkannten Grundberufs und einer fundierten pferdefachlichen Qualifikation. Die Weiterbildungen des Warendorfer Kuratoriums werden an verschiedenen Standorten in Deutschland durchgeführt und erfüllen die Voraussetzungen von Fördermöglichkeiten wie dem Bildungsurlaub oder der Bildungsprämie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Weiterhin gibt es die Weiterbildung zum Hippotherapeuten und zur Hippotherapeutin. Hier machen Physiotherapeuten bzw. Physiotherapeutinnen mit Zusatzqualifikation physiotherapeutische Übungen mit erkrankten Kindern und Erwachsenen.
BERUFENET
Das Netzwerk für Berufe der Bundesagentur für Arbeit mit über 3.000 aktuellen Berufsbeschreibungen in Text und Bild (Suchwort: Reittherapeut/in, Hippotherapeut/in)
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