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Ausbildung im Rollstuhl: Rein ins Berufsleben

Für Lea Voitel (22) war von Anfang an klar: Trotz Rollstuhl und Sprachhandicap wollte sie nach der Schule im sogenannten ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen. Als es erst einmal „nur“ mit einer Ausbildung in einem Berufsbildungswerk klappt, ist sie zunächst enttäuscht. Heute – mit einem Arbeitsvertrag einer Kulturstiftung in der Tasche – sagt sie: „Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“

Auf dem Foto ist das Schild eines Rollstuhls zu sehen.

Lea Voitel ist zufrieden. Vor Kurzem hat die 22-Jährige ihre Ausbildung zur Kauffrau für Tourismus und Freizeit im Berufsbildungswerk Oberlin in Potsdam abgeschlossen und ist direkt ins Berufsleben gestartet. „In ein Berufsbildungswerk wollte ich eigentlich nicht, denn damit verfehlte ich schließlich die Ausbildung auf dem regulären Arbeitsmarkt. Schlussendlich entschied ich mich dann doch dafür“, erzählt die junge Frau aus der Lutherstadt Eisleben.

Porträt von Lea Voitel Porträt von Lea Voitel

Lea Voitel

„Reisen ist in meinem Freundes- und Verwandtenkreis schon immer ein großes Thema gewesen“, erzählt sie. „Da ich Rollstuhlfahrerin bin, benötige ich bei fast allem fremde Hilfe“, schildert sie. Lea Voitel kann durch eine Spastik Arme und Beine nicht uneingeschränkt bewegen. „Trotzdem bin ich mit 16 Jahren das erste Mal ohne meine Eltern verreist, nur mit meinen Freunden und meinem damaligen Freund über Silvester nach Berlin. All das machte ein Reisebüro möglich. Die Reisegruppe war sehr angenehm und die Assistenz, die jeder von uns mehr oder weniger benötigte, wurde von jungen Studierenden oder Auszubildenden übernommen. Da wurde mir bewusst, wie wichtig selbstbestimmtes Reisen und barrierefreier Tourismus sind. So war der Berufswunsch geboren“, erinnert sich die 22-Jährige.

Ausbildungsplatzsuche über Umwege

Nach der Fachhochschulreife machte sich Lea Voitel also gezielt auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz im Tourismus. „Ich habe zahlreiche Bewerbungen geschrieben und wurde auch zu Vorstellungsgesprächen eingeladen“, berichtet sie. „Trotz eines guten Zeugnisses und guten Ergebnissen bei den Einstellungstests hatten viele Arbeitgeber Vorurteile und Barrieren im Kopf und so kam es nicht zum Ausbildungsvertrag in einem Betrieb“, schildert sie rückblickend. „Meine Reha-Beraterin der Agentur für Arbeit empfahl mir das Berufsbildungswerk in Potsdam mit Unterbringung im Internat. Das habe ich angenommen – wahrscheinlich die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.“

Während einer Ausbildung in einem Berufsbildungswerk (BBW) erhalten Azubis ein Ausbildungsgeld von der Agentur für Arbeit. Inhaltlich unterteilte sich ihre Ausbildung zur Kauffrau für Tourismus und Freizeit im BBW, ähnlich wie bei einer dualen Ausbildung im Betrieb, in drei Tage praktischer Arbeit und zwei Tage Berufsschule. „Einziger Unterschied: Die Klassenstärke im Berufsbildungswerk war wesentlich geringer, wir waren sogar nur drei Leute in der Klasse. Mit meiner Klasse, meinen Lehrern, Ausbildern, den Physiotherapeuten und den tollen Mitarbeitern im Internat hatte ich meist ein sehr gutes Verhältnis und war eher mittendrin als irgendwie am Rande“, berichtet sie. Klar, dass sich Lea Voitel im Berufsbildungswerk schnell wohlfühlte.

Spannende Öffentlichkeitsarbeit

An den Praxistagen arbeiteten die Azubis zunächst mit fiktiven Aufträgen zu Themen wie Öffentlichkeitsarbeit, Produktentwicklung oder Marketing im Berufsbildungswerk. Im zweiten Jahr folgte ein Langzeitpraktikum in einem Unternehmen. Für Lea Voitel war klar, dass dies unbedingt auf dem ersten Arbeitsmarkt sein musste – und inhaltlich interessant. „Das Praktikum bei der Stiftung Garnisonkirche Potsdam habe ich mir mit einem Artikel in der Märkischen Allgemeinen Zeitung erkämpft, in dem ich über die aktuelle Arbeitsplatzsituation für Menschen mit Behinderungen aufkläre“, sagt sie selbstbewusst. „Anfangs gab es zwar Unsicherheiten von beiden Seiten. Nachdem aber ein wenig Zeit vergangen war, war ich ein geschätztes Mitglied im Team und durfte verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen.“

Die Stiftung Garnisonkirche setzt sich für den Wiederaufbau der in der DDR gesprengten Garnisonkirche als Kultur- und Baudenkmal ein. Ein Vorhaben, das nicht unumstritten ist. „Während meines Praktikums arbeitete ich vor allem im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Ich übernahm Aufgaben wie die Gestaltung von Flyern, Verfassen von Artikeln sowie Planung und Durchführung von Veranstaltungen.“ Genau Lea Voitels Ding, wie sie heute weiß. „Hier habe ich meine Stärken fürs Schreiben von Artikeln und für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit entdeckt“, sagt sie. Später möchte sie vielleicht noch ein Studium im Journalismus absolvieren. „Statt dem eigentlich sechsmonatigen Praktikum bin ich zwei Jahre geblieben.“ Ein weiteres vierwöchiges Praktikum absolvierte sie über Erasmus+ in Graz.

Dank Selbstständigkeit mehr Selbstvertrauen

Mit Blick zurück auf ihre Ausbildung sieht Lea Voitel einen entscheidenden Pluspunkt: „Für mich war der Internatsplatz eine unwahrscheinliche Unterstützung, da mich das Personal im Internat und auch die neu gewonnenen Freiheiten in meiner Selbstständigkeit und in meinem Selbstbewusstsein gestärkt haben. Da alles auf einem Campus war, entfiel die große Anstrengung durch lange Fahrtwege zur Ausbildungsstätte. Außerdem gab es Freizeitangebote, Physiotherapie oder einen medizinischen Dienst, den man nutzen konnte.“

Das alles hat ihr den Weg in die Anstellung geebnet. „Unmittelbar nach Beendigung meiner Ausbildung habe ich von der Stiftung Garnisonkirche Potsdam einen projektbezogenen Arbeitsvertrag im Bereich Ausstellungsplanung bekommen. Er läuft erstmal über drei Jahre und ja, ich bin zufrieden mit meiner Wahl!“