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Erst einmal das Zimmer aufräumen, lieber zocken oder noch das Geschenk für Oma basteln: Wenn für das Kind alles andere wichtiger wird als die Arbeit für die Schule, stecken hinter der Prokrastination oft Leistungsdruck und Versagensangst. abi» gibt Tipps, wie Sie Ihren Kindern helfen können, die „Aufschieberitis“ zu überwinden.
Seit mein Sohn in der Oberstufe ist, hat er große Schwierigkeiten, Arbeiten oder Referate rechtzeitig fertig zu bekommen. Meistens schiebt er die Arbeit daran so lange auf, bis er nicht mehr genügend Zeit hat. Deshalb hat er auch schon schlechte Noten bekommen. Das bestätigt ihn in seiner Meinung, dass er die Aufgaben sowieso nicht schafft. Wie kann ich ihm helfen, das Prokrastinieren in den Griff zu bekommen?
Sehr geehrte Frau Braun,
hinter dem Aufschieben von schulischen Arbeiten steckt auch manchmal die Furcht vor Misserfolg oder die Angst zu versagen. Leistungsdruck kann dazu führen, dass die Betroffenen sich freundvollere oder erfolgversprechendere Ersatztätigkeiten suchen, als sich mit der Aufgabe auseinanderzusetzen. Da wird sogar das Zimmer aufgeräumt, damit man bloß nicht an die Lernaufgaben muss.
Es findet eine Art Flucht- oder Vermeidungsverhalten statt, um dem Druck zu entgehen und sich kurzfristig besser zu fühlen. Manchen fehlt es auch an der Fähigkeit, sich selbst emotional zu regulieren und sich selbst aufzuraffen. Stattdessen versuchen sie, sich dem unangenehmen Gefühl nicht zu stellen oder es durch andere Tätigkeiten zu überlagern.
Das Problem beim vermeidenden Verhalten ist, dass der Stress mit jedem Aufschieben zunimmt, weil die Zeit immer knapper wird.
Hanna Hardeland, Lerncoach
Problematisch wird das Prokrastinieren, die sogenannte „Aufschieberitis“ dann, wenn man unter seinen Leistungsmöglichkeiten bleibt und sich das dauerhaft negativ auf die Noten auswirkt. Es kann auch Stress entstehen, der sich beispielsweise in Schlafstörungen, Gereiztheit oder Bauch- und Kopfschmerzen ausdrückt. Ein dauerhaft schlechtes Gewissen kann sich breitmachen. Anzeichen für Prokrastination sind: Ihr Kind beginnt seine Sätze mit „Ich sollte“, „Eigentlich“ oder „Ich müsste“ oder es versucht alles, um nicht zum wichtigen Prüfungstermin gehen zu müssen.
Das Problem beim vermeidenden Verhalten ist, dass der Stress mit jedem Aufschieben zunimmt, weil die Zeit immer knapper wird. Dahinter steckt auch eine Art Selbstschutzstrategie: Die Betroffenen möchten wie jeder Mensch ihren Selbstwert schützen und sich als kompetent erleben. Mit ihrer Strategie der Prokrastination erreichen sie jedoch meist das Gegenteil: Sie bleiben durch Zeitmangel unter ihren Leistungsmöglichkeiten und verachten sich dann möglicherweise dafür. Oftmals kommen Konflikte mit den Eltern dazu.
Sie können Ihrem Sohn helfen, indem Sie ihm nicht noch mehr Druck machen, sondern ihm Mut zusprechen und ihm Ihre Unterstützung anbieten. Eine Möglichkeit ist, Verbindlichkeiten für ihn zu schaffen. Legen Sie zusammen eine Uhrzeit fest, in der er sich mit seiner Aufgabe beschäftigt. Am besten funktionieren ungerade Uhrzeiten, wie 16:37 Uhr bis 18:13 Uhr. Es muss einen fest vereinbarten Startzeitpunkt für das Lernen geben, anstatt vage zu sagen: Morgen Nachmittag fange ich an. Der eigene Spielraum im Aufschieben wird so geringer und man nimmt es sich dann tatsächlich vor.
Sie helfen ihm auch, indem Sie Vorbild sind und beispielsweise zur gleichen Zeit Ihre Steuererklärung machen, zu der Sie keine Lust haben. Eine weitere Möglichkeit ist, die Arbeitszeit an andere Tätigkeiten zu knüpfen, wie: Wenn du morgen aus der Schule kommst, essen wir und dann arbeitest du eine Stunde an deinem Referat.
Sie können außerdem mit Ihrem Sohn überlegen, welche kleinen Schritte es braucht, um die Arbeit fertigzustellen und ihm helfen, Teilziele zu setzen. Finden Sie eine Strategie, die er anwenden kann, wenn er merkt, dass er die Lust verliert. Er könnte sich beispielsweise einen solchen Plan zurechtlegen: Wenn ich unkonzentriert oder lustlos werde, mache ich fünf Minuten Pause oder wechsle die Lernmethode, sodass ich abwechslungsreicher lerne.
Es kann auch helfen, sich einen Zettel auf den Tisch zu legen. Dort werden alle Ideen, Fragen oder abschweifenden Gedanken erst einmal notiert. Am Ende der Lernzeit kann man sich dann damit beschäftigen. Dies hilft, fokussierter zu sein und weniger abzuschweifen. Überlegen Sie mit Ihrem Sohn, wie ihm die Arbeit für die Schule mehr Spaß machen könnte.
Generell ist gerade für Schülerinnen und Schüler, die sich gern ablenken lassen, das Arbeitsumfeld wichtig. Sorgen Sie für einen puristischen Arbeitsplatz mit möglichst geringen Nebengeräuschen und wenigen Reizen.
Sollten diese Strategien nicht helfen, finden Sie Unterstützung bei den Beratungslehrerinnen und -lehrern an den Schulen, bei den schulpsychologischen Diensten und den Sozialpädagoginnen und -pädagogen der Schule. Lerncoachs – auch diese gibt es mittlerweile an einigen Schulen – können Ihnen helfen, die optimale Lernstrategie für Ihren Sohn zu finden. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Sohn viel Erfolg beim Umsetzen der Strategien und alles Gute!
Portal der psychotherapeutischen Ambulanz mit Spezialisierung auf Prokrastination an der Universität Münster mit vielen Informationen zum Thema
www.uni-muenster.de/Prokrastinationsambulanz/prokrastination.html
und einem Selbsttest
Stand: 29.11.2023
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