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Der Fachkräftemangel in Deutschland wächst, besonders in typischen Männer- oder Frauenberufen. Dr. Anika Jansen vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) weiß, welche Berufe betroffen sind, und nennt im Interview mögliche Ursachen.
Anika Jansen: Zu den Berufsgruppen mit den größten Engpässen gehören die Kinderbetreuung, die Alten-, die Gesundheits- und Krankenpflege sowie die Physiotherapie. Aber auch der Handwerksbereich, wie die Bauelektrik oder die Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, findet wenig Fachkräfte. Außerdem sind industrielle Metall- und Elektroberufe und der IT-Bereich betroffen. Die größte Lücke an Fachkräften hat allerdings eine Berufsgruppe, die in der Öffentlichkeit derzeit weniger wahrgenommen wird: die Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Hier konnten im Jahresdurchschnitt 2021/22 fast 20.600 Stellen nicht besetzt werden.
Anika Jansen: Ein Blick auf die Berufsgruppen mit dem größten Fachkräftemangel zeigt, dass diese jeweils deutlich von einem Geschlecht bevorzugt werden. Bei den Berufen aus dem sozialen oder gesundheitlichen Bereich ist der Frauenanteil sehr hoch: In der Sozialarbeit und Sozialpädagogik liegt er beispielweise bei rund 77 Prozent, in der Kinderbetreuung und Altenpflege sogar bei rund 87 beziehungsweise 82 Prozent. Im Handwerk dagegen sind Frauen deutlich unterrepräsentiert: In der Bauelektrik sind 1,5 Prozent, im Bereich Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sogar nur 0,4 Prozent Frauen zu verzeichnen. Etwas ausgeglichener ist der IT-Bereich mit 19,3 Prozent Frauenanteil.
Anika Jansen: Es ist schon sehr auffällig, dass gerade der Engpass in den Berufen mit den größten Geschlechterungleichheiten so groß ist. Mit Sicherheit werden durch Geschlechterklischees bei der Berufswahl bei einigen Jugendlichen geschlechteruntypische Berufe unbewusst direkt ausgeschlossen, obwohl diese eigentlich zu den Fähigkeiten und Interessen passen könnten. Dadurch sinkt der Pool an potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern für geschlechtstypische Ausbildungen. Ich würde allerdings nicht so weit gehen, dies als den ursächlichen Grund für den Fachkräftemangel zu nennen. Vielmehr kann der Fachkräftemangel in den genannten Berufen auch andere Ursachen haben, wie die generelle konjunkturelle Entwicklung. Sowohl die sozialen Berufe als auch das Handwerk fordern teilweise körperlich stark, was für viele nicht attraktiv ist. Die Zahl der Ausbildungsverträge geht im Ganzen zurück, die Tendenz geht eher zum Studium. So hat beispielsweise das Handwerk generell Probleme, Ausbildungsstellen zu besetzen. In der Pflege ist die Zahl der beschäftigten Fachkräfte nicht gesunken, sondern sogar gestiegen. Durch den demografischen Wandel steigt allerdings der Bedarf so stark an, dass die Stellen kaum noch besetzt werden können. Gleiches gilt für die Digitalisierung und den IT-Bereich.
Anika Jansen: Es ist erwiesen, dass gemischte Teams gut zusammen funktionieren. Außerdem können Männer und Frauen mit ihrer unterschiedlichen Sicht auf den Beruf das Arbeitsleben enorm bereichern. So werden Kinder von Männern anders betreut als von Frauen. In der Pflege können sich Patientinnen oder Patienten dann aussuchen, ob sie lieber von einem Mann oder einer Frau gepflegt werden möchten. Und auch im Handwerk kann die weibliche Perspektive auf die Arbeit oder den Umgang mit Kunden dem Unternehmen Gewinn bringen.
Anika Jansen: Wichtig ist eine frühe vorurteilsfreie Berufsorientierung. Die Geschlechterklischees werden unbewusst im Elternhaus schon im frühen Kindesalter weitergegeben. So ist es schwierig, dort herauszukommen, wenn die Berufsorientierung erst spät ansetzt. Außerdem spielen Vorbilder eine große Rolle. So gibt es beispielsweise Influencerinnen und Influencer, die in den sozialen Medien über ihre Arbeit in einem geschlechterungleichen Beruf berichten.
Dr. Anika Jansen ist Ökonomin im Projekt Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Tipp der Redaktion: Auf Instagram berichten zum Beispiel die Maurermeisterin Julia auf ihrem Profil „tschulique“ oder Anlagenmechanikerin Madita als „frauimhandwerk“ von ihrem Arbeitsalltag in männerdominierten Berufen.
Stand: 24.04.2023
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