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Kleine Fächer studieren: Studiere lieber ungewöhnlich

Weil sie so selten sind, nennt man sie auch „Orchideenfächer“ – kleine Studienfächer mit exotischen Namen wie etwa „Markscheidewesen“, „Frisistik“ oder „Interkulturelle Kommunikation“. Hinter solchen Exoten verbergen sich oftmals besondere Chancen und berufliche Möglichkeiten.

Schülerin hält einen Kugelschreiber in der Hand und bearbeitet die Aufgaben auf dem Papier

Durch unsere Sprache haben wir die Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren und uns auszudrücken. Manche Menschen benötigen besondere Unterstützung, weil sie Schwierigkeiten mit dem Sprechen haben, andere wiederum möchten lernen, rhetorische Mittel künstlerisch einzusetzen. „Um all diese Aspekte geht es in unserem Studiengang“, erklärt Marie Brodschelm. Die 23-Jährige befindet sich im fünften Semester ihres Bachelorstudiums „Sprechwissenschaft“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ihr gefallen vor allem die breite fachliche Ausbildung und die Praxisnähe. „Neben theoretischen Lehrveranstaltungen mit Modulen wie Angewandte Phonetik erhalten wir unter anderem auch eine praktische Ausbildung in der Sprechkunst und der Rhetorik. So können wir die gelernten Inhalte direkt erleben und anwenden.“

Besonders interessant findet die Studentin die mehrsemestrige eigene Stimm- und Sprechbildung: „Dabei lernen wir zum Beispiel, den Atem und die Stimme einzusetzen und gezielt zu artikulieren.“ Ein Teilgebiet des Studiengangs ist die Klinische Sprechwissenschaft, die auf berufliche Wege im Bereich Therapie von Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen vorbereitet. Schon im Bachelorstudium sind drei jeweils dreiwöchige Praktika vorgesehen. „Hiervon erhoffe ich mir einen tieferen Einblick in die jeweiligen Arbeitsfelder“, sagt Marie Brodschelm.

Selten und doch höchst relevant

Ein Porträt-Foto von Katharina B. Ein Porträt-Foto von Katharina B.

Derzeit wird Sprechwissenschaft in Deutschland nur an vier Hochschulstandorten gelehrt, die jeweils nicht über mehr als zwei Professuren verfügen. Damit zählt das Fach zu den sogenannten „kleinen Fächern“. Dabei handelt es sich um Fächer, die pro Hochschulstandort über maximal drei Professuren verfügen, wobei bundesweit jeweils zwei Ausnahmen – also größere Fachstandorte – erlaubt sind. „Das Fach Afrikanistik etwa finden wir in Deutschland an sieben Universitäten. Dort gibt es jeweils maximal drei Professuren, nur die Universität Köln verfügt über vier Professuren“, erklärt Dr. Katharina Bahlmann von der Arbeitsstelle Kleine Fächer. Aktuell (Stand August 2022) stehen hierzulande laut der Expertin insgesamt 160 kleine Fächer zur Wahl. „Diese Liste ist jedoch nicht fix. Wir prüfen laufend neue Fachvorschläge, sodass sich die Anzahl immer wieder verändert.“ Gleichzeitig kommt es vor, dass Fächer aus dem Katalog ausgeschlossen werden, da sie sich zu großen Fächern entwickelt haben. Das war im Jahr 2024 beispielsweise bei der Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Fall.

Dr. Katharina Bahlmann erklärt, warum die kleinen Fächer von großer Bedeutung sind: „Sie stehen für die hohe Diversität unseres Wissenschafts- und Hochschulsystems.“ Kleine Fächer seien in allen Bereichen zu finden. „In den Geisteswissenschaften gibt es etwa Afrikanistik, Gebärdensprachen oder Vorderasiatische Archäologie, in den Naturwissenschaften Ökosystemleistungen oder Anthropologie“, nennt sie Beispiele. „Im Bereich Gesundheit gibt es zum Beispiel das Fach Hebammenwissenschaft. Unter den Ingenieurwissenschaften finden sich Fächer wie Eisenbahnwesen oder Sporttechnologie. Und zu den Sozialwissenschaften zählen Haushaltswissenschaft oder Zukunftsforschung.“

Seltene Kompetenzen erwerben

Ein Porträt-Foto von Prof. Dr. Uwe Schmidt Ein Porträt-Foto von Prof. Dr. Uwe Schmidt

Prof. Dr. Uwe Schmidt

Und welche Besonderheiten erwarten Studierende eines kleinen Fachs? Dazu Prof. Dr. Uwe Schmidt, der sich mit Dr. Katharina Bahlmann die Projektleitung der Arbeitsstelle teilt: „Anders als in den meisten großen Fächern findet man häufiger Studiengänge mit vergleichsweise niedrigen Studierendenzahlen.“ Wer ein kleines Fach belegt, könne demnach davon profitieren, dass der Kontakt mit den Dozierenden intensiver ist oder die Studieninhalte enger an die Forschungsprojekte der Lehrenden gekoppelt sind. Die Kleinheit könne sich zwar durch weniger Wahlmöglichkeiten und ein schmaleres Lehrangebot im Studium auswirken, dieser vermeintliche Nachteil werde jedoch häufig durch eine starke interdisziplinäre Ausrichtung und die Nutzung von Angeboten weiterer Fächer kompensiert.

Und wie sehen die Arbeitsmarktchancen für die Absolventinnen und Absolventen kleiner Fächer aus? „Mit dem Studium eines kleinen Fachs lassen sich oftmals seltene Kompetenzen erwerben, die für unterschiedliche Berufsfelder anschlussfähig sind“, meint Prof. Dr. Uwe Schmidt. Abschließend hat der Experte noch einige Tipps parat: „Wir raten allen, die sich für die Inhalte eines kleinen Fachs interessieren, sich nicht abschrecken zu lassen.“ Dies gelte umso mehr, als dass kleine Fächer in der Regel nicht „spezialisierter“ seien als große Fächer. „Nicht die Kleinheit der Inhalte macht ein Fach zu einem kleinen Fach, vielmehr sind es die strukturellen Gegebenheiten. So ist beispielsweise Sinologie mit Blick auf den Gegenstandsbereich nicht ‚kleiner‘ als die Germanistik und auch nicht spezieller. Sie ist nur nicht so stark verbreitet.“

Weitere Informationen

BERUFENET

Das Online-Lexikon der Bundesagentur für Arbeit mit über 3.000 aktuellen Berufsbeschreibungen in Text und Bild
www.arbeitsagentur.de/berufenet

studienwahl.de

Infoportal der Stiftung für Hochschulzulassung in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit
www.studienwahl.de 

Hochschulkompass

Informationen über deutsche Hochschulen, deren Studien- und Promotionsmöglichkeiten sowie internationale Kooperationen
www.hochschulkompass.de

Arbeitsstelle Kleine Fächer

Die an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angesiedelte Forschungseinrichtung erfasst die Situation der kleinen Fächer an deutschen Universitäten.
www.kleinefaecher.de