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Zweiter Bildungsweg: „Und dann wollte ich das Abi doch noch machen“

Lilly (28) hat sich dazu entschieden, das Abitur am Berlin-Kolleg nachzuholen. Für abi» berichtet sie von ihren bisherigen Erfahrungen.

Schulhefte und -bücher auf einem Tisch

Im Herbst begann mein zweites Jahr am Berlin-Kolleg. Das Gebäude liegt versteckt in einem ruhigen Innenhof an der quirligen Turmstraße in Berlin-Moabit. In der Mitte des Schulhofs ist eine kleine Messingplastik in den Boden eingelassen: ein menschliches Gehirn, dessen Oberseite ein kleines Stück aus dem Boden ragt. Ich habe es an meinem ersten Schultag entdeckt; seitdem spornt es mich an.

Die Regelschule hatte ich nach der zehnten Klasse mit dem Mittleren Schulabschluss verlassen, weil ich arbeiten gehen, Geld verdienen und etwas erleben wollte. Insgesamt habe ich vor dem Kollegbesuch fast zehn Jahre lang gearbeitet, unter anderem auf Festivals. Ich hatte zudem kleinere Jobs beim Film und am Theater und bin viel gereist. Eines Tages stellte ich fest, dass ich gerne wieder strukturiert lernen möchte.

Regulär gibt es am Kolleg zunächst den Vorkurs und die Einführungsphase – beides dauert jeweils ein Jahr. Dann folgt die zweijährige Qualifikationsphase. Einführungs- und Qualifikationsphase sind vergleichbar mit der elften, zwölften und dreizehnten Klassenstufe. Mein Kollegbesuch wird hoffentlich in einem Jahr abgeschlossen sein. Wie lange man tatsächlich braucht, hängt von den eigenen Voraussetzungen ab.

Am Kolleg: Nach zehn Jahren wieder auf der Schulbank

Ein Porträt-Foto von Lilly. Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt. Ein Porträt-Foto von Lilly. Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.

Lilly

Nach solch langer Zeit wieder regelmäßig die Schulbank zu drücken, hat für mich eine große Umstellung bedeutet. Der Unterricht beginnt um 8:30 Uhr und endet um 14 oder 16 Uhr. Anwesenheit ist Pflicht; Hausaufgaben sind an der Tagesordnung. Wir haben Deutsch, Englisch, eine weitere Fremdsprache, Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Politik sowie Wahlpflichtfächer.

Am Kolleg treffen Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebensläufen aufeinander. Es gibt die Schulabbrecherin, die mit fünfzehn Jahren das letzte Mal einen Klassenraum von innen gesehen hat, den Geflüchteten aus Syrien, der zum dritten Mal die elfte Klasse besucht, den Handwerker, der nach einigen Jahren Berufserfahrung ein technisches Studium anschließen möchte.

Obwohl ich nie eine sonderlich gute Schülerin war, komme ich jetzt mit dem Stoff gut zurecht. Die meisten Lehrkräfte geben sich große Mühe, Inhalte nachhaltig zu vermitteln und – soweit es möglich ist – individuell auf den Wissensstand der Kollegiaten einzugehen. Mit Blick auf die Prüfungen eigne ich mir schon alleine dadurch viel an, dass ich im Unterricht aufmerksam zuhöre, mitschreibe und regelmäßig zu Hause nacharbeite.

Am meisten überrascht hat mich mein plötzliches Interesse für Naturwissenschaften. Früher habe ich diesen Unterricht gemieden, wenn es möglich war, und dadurch fehlte mir Grundwissen. Aber ich konnte schnell aufholen und mittlerweile macht es mir am meisten Spaß, zwischen den Fächern Biologie und Chemie Zusammenhänge herzustellen. Vieles, von dem ich nicht gedacht hätte, dass es mein Interesse wecken könnte, ist auf einmal super spannend.

Finanzierung über Schüler-BAföG und Nebenjob

Ich habe mich im Vorfeld wenig auf das Kolleg vorbereitet. Neben der Auffrischung alten Wissens wäre es sinnvoll gewesen, ein bisschen zu sparen. Es ist großartig, dass wir überhaupt die Möglichkeit haben, Schüler-BAföG zu beantragen, aber als einzige Einnahmequelle ist es für mich zu wenig. Daher gehe ich einmal pro Woche und gelegentlich am Wochenende einem Nebenjob nach. Insgesamt haben die Schüler im Bundesland Berlin übrigens fast 70 Tage im Jahr Ferien, was ebenfalls Gelegenheit fürs Jobben bietet.

Alles in allem kann ich also sagen, dass es eine großartige Erfahrung für mich ist, den Zweiten Bildungsweg zu beschreiten. Ich freue mich bereits darauf, danach studieren zu können. Welcher Studiengang genau es werden soll, weiß ich allerdings noch nicht.