Hannah
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Wenn jemand nicht gut lesen, schreiben oder rechnen kann, bedeutet das nicht automatisch, dass sie oder er weniger intelligent oder fleißig ist – viel eher kann eine Dyskalkulie oder eine Legasthenie der Grund dafür sein. Junge Menschen mit einer solchen Teilleistungsstörung sind mit entsprechender Unterstützung durchaus in der Lage, Abitur zu machen und zu studieren.
Hannah (22) hat ihr Abitur inzwischen in der Tasche. Eigentlich kein Problem für die gute ehemalige Schülerin, sollte man meinen. Sie hat schon immer in fast allen Fächern Einser und Zweier bekommen. Dass das Abi trotz dieser ausgezeichneten Leistungen kein Zuckerschlecken für sie war, hat einen Grund: Der Unterricht in Mathematik war der blanke Horror für die Schülerin. In der Grundschule hatte Hannah beim Rechnen noch Dreier, auf dem Gymnasium folgten jedoch Vierer, Fünfer und leider auch Sechser.
Hannah
Foto: privat
„Im Alter von 14 Jahren war ich in Mathematik auf dem Niveau eines Grundschülers“, erinnert sie sich. In der neunten Klasse bescheinigte ihr ein Psychologe dann eine Dyskalkulie, also eine angeborene Rechenstörung. Die Diagnose war für Hannah ein echter Schock: „Ich fühlte mich minderwertig und wusste jetzt, ich würde in Mathe nie besser werden.“
Hannahs psychische Schwierigkeiten, bedingt durch eine Angststörung, werden durch die Dyskalkulie verstärkt. Deshalb hatte sich die Schülerin gegen eine Lerntherapie entschieden. „Wenn ich mich täglich mit meiner Dyskalkulie befassen müsste, könnte ich vielleicht besser rechnen. Aber meiner Psyche würde das nicht guttun“, erklärt sie.
Hannah bekam deshalb keinen Nachteilsausgleich von der Schule. Einige Lehrkräfte unterstützten sie jedoch. „Ich hatte einmal einen sehr netten Mathelehrer, der sich extra Zeit genommen hat, um mir Förderstunden zu geben. Und es gab zwei Lehrerinnen, die mit mir Beratungsgespräche führten“, erzählt sie. Ihr Ziel war es, wenigstens einen einzigen Punkt zu bekommen, denn den brauche sie für ihr Abitur. Dabei half es ihr sehr, sich auf das Gute zu konzentrieren: „Wenn ich an einem Tag in Kunst eine Eins und in Mathe eine Sechs geschrieben habe, sagte ich mir: Ich werde nie gut rechnen können. Aber immerhin habe ich andere Fähigkeiten.“
Mit ihrer Angststörung und der Dyskalkulie hat Hannah auf dem Weg zum Abitur gleich zwei große Hürden zu bewältigen. Doch auch viele andere junge Menschen mit einer Teilleistungsstörung leiden unter geringem Selbstbewusstsein. Annette Höinghaus bietet als Mitarbeiterin des Bundesverbands Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) Beratungen an und erklärt: „Viele Betroffene haben in ihrer Schulzeit immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ihre Leistungen nicht ausreichen. Deshalb denken viele auch Jahre später noch zu Unrecht, sie seien schlechter qualifiziert. Sie haben beispielsweise große Angst vor Prüfungen oder davor, bei möglichen Stellenkürzungen eher als andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen den Arbeitsplatz zu verlieren.“
Annette Höinghaus
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Annette Höinghaus betont, dass eine Lerntherapie erfolgversprechend ist – auch wenn sie erst im Erwachsenenalter durchgeführt wird. Wenn es um das Abitur, das Studium oder die Ausbildung geht, können Betroffene außerdem von Nachteilsausgleichen und Hilfestellungen profitieren. „Wer weitsichtig ist, trägt als Ausgleich eine Brille. Wer nicht gut hören kann, verwendet ein Hörgerät. Wer Dyskalkulie hat, benutzt im Abitur vielleicht einen Taschenrechner. Und wer eine Legasthenie hat, darf je nach Ausprägung und Schweregrad zum Beispiel statt der schriftlichen eine mündliche Prüfung absolvieren oder einen PC mit Korrekturhilfe nutzen“, erklärt die Expertin. Der Nachteilsausgleich muss die individuelle Beeinträchtigung bestmöglich ausgleichen und stellt keine Vereinfachung der Prüfungsleistung dar. Wichtig sei es, frühzeitig einen entsprechenden Antrag beim Prüfungsausschuss der Hochschule zu stellen. Weitere Anlaufstellen sind die Beratungsstellen des Studentenwerks für Studierende mit Behinderungen, die Behindertenbeauftragten der Hochschulen und der Prüfungsausschuss der zuständigen Handwerks- beziehungsweise Industrie- und Handelskammer.
Entscheidend ist, dass die Betroffenen sich deutlich machen, welche Art von Nachteilsausgleich ihnen im Ausbildungs- und Studienalltag sowie bei Prüfungen helfen würde – denn das kann individuell ganz unterschiedlich sein. „Wenn du unter Prüfungsängsten leidest, kannst du dich zum Beispiel von einer vertrauten Person begleiten lassen oder die Prüfung in einer Gruppe ablegen“, betont Annette Höinghaus. Die Expertin empfiehlt betroffenen Abiturientinnen und Abiturienten darüber hinaus, ihre Teilleistungsschwäche so früh wie möglich medizinisch diagnostizieren zu lassen, um ihren Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich geltend zu machen.
Nach ihrem erfolgreich absolvierten Abitur hat Hannah einen beruflichen Weg eingeschlagen, der sie in jeder Hinsicht bereichert. Nach der Schule absolvierte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Tagesförderstätte für schwerstbehinderte Menschen und entdeckte dort ihre Leidenschaft für die Heilpädagogik. Diese Erfahrung hat ihr nicht nur tiefe Einblicke in die wertvolle Arbeit mit Menschen gegeben, sondern auch Selbstvertrauen im Umgang mit ihrer Dyskalkulie. „Ich habe dort Menschen kennengelernt, die mich im Umgang mit meiner Rechenschwäche noch mehr bestärkt haben“, erzählt sie. Besonders beeindruckt ist Hannah von der Vielfalt und Tiefe, die dieser Berufszweig bietet.
Inzwischen arbeitet Hannah weiter in der Heilpädagogik und studiert Soziale Arbeit, um sich in diesem Bereich zu spezialisieren. Heilpädagogik ist für sie nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung: „Die Arbeit erfüllt mich jeden Tag und gibt mir das Gefühl, genau das Richtige zu tun“, sagt sie voller Überzeugung. Mit ihrem Engagement möchte sie auch anderen jungen Menschen zeigen, wie schön und bereichernd das Berufsfeld der Heilpädagogik ist und wie erfüllend es sein kann, sich für das Wohl anderer einzusetzen.
Handbuch für die Ausbildungs- und Prüfungspraxis
bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/7407
Fideo ist ein Online-Selbsthilfetool, das jungen Menschen mit Depressionen hilft.
Befragung zum seelischen Wohlbefinden und Verhalten (BELLA)
www.rki.de
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Stand: 10.01.2025
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