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Nach der Ausbildung auf die Walz: Über Schächte, Kluften und Bildung durch Wanderschaft

Warum geht man auf die Walz? Ist das noch zeitgemäß oder nur was für Wagemutige? abi» hat über diese Themen mit Ansgar Wenning gesprochen, stellvertretender Zentralleiter Nord beim traditionellen Rolandsschacht. Nach seiner Ausbildung war er selbst auf Wanderschaft, heute arbeitet er als angestellter Zimmermann in Niedersachsen.

Blick auf eine Werkbank mit verschiedenen Werkzeugen, wie Schraubenschlüssel, Bohrer und Hämmer.

abi» Woher kommt die Tradition der Walz?

Ansgar Wenning: Die Tradition geht bis zu den Handwerkszünften ins Mittelalter zurück. Lange Zeit war es so: Wer als Geselle Meister werden wollte, musste erst mal auf die Walz, auf die Wanderschaft gehen, ehe er die Meisterprüfung ablegen durfte. Das ist heute nicht mehr so. Ziel damals wie heute ist es, andere Regionen, Kulturen, aber vor allem neue Fertigkeiten in seinem Handwerk zu erlernen und sich fortzubilden. Und natürlich spielt auch immer ein wenig Abenteuerlust und Fernweh mit.

abi» Welche Regeln gelten für die Gesellinnen und Gesellen auf Wanderschaft?

Ansgar Wenning: Die Walz dauert mindestens drei Jahre und einen Tag. Den einen Tag nutzt man, um aus dem Bannkreis – das sind ca. 50 bis 60 Kilometer rund um seinen Heimatort – herauszuwandern. Während der Walz darf man nicht dahin zurück. Die Gesellinnen und Gesellen tragen eine spezielle Kleidung, die Kluft. Man muss sich ehrbar verhalten, ledig, nicht älter als 30 Jahre alt und schuldenfrei sein. Wer einem Schacht angehört, ist verpflichtet, sich dort regelmäßig zu melden.
Für Reisen soll möglichst wenig ausgegeben werden, deshalb wird oft getrampt oder man nutzt Mitfahrgelegenheiten. Wandergesellinnen und Wandergesellen arbeiten aber nicht nur für Kost und Logis, sie werden in der Regel nach Tariflohn bezahlt. Eine neuere Regel ist, dass die jungen Leute ohne Smartphone unterwegs sein müssen. Das würde das Freisein auf der Walz unterbinden. Aber natürlich darf mit Freunden oder der Familie Kontakt gehalten werden und man kann sich auch außerhalb der Bannmeile treffen.

abi» Was hat es mit der Kluft auf sich?

Ansgar Wenning: Die Kluft ist die traditionelle Kleidung der Wandergesellen und deren Erkennungszeichen. Je nach Gewerk variiert sie ein wenig, sie ist sehr funktional, mit vielen Taschen und oft maßgeschneidert. In der Regel besteht sie aus einem schwarzen Hut mit breiter Krempe, einer strapazierfähigen Cordhose, einem weißem Hemd, einer Weste und Jacke.

abi»Welche Bedeutung hat die Walz heute für junge Gesellinnen und Gesellen?

Ansgar Wenning: Aus meiner Sicht ist die Wanderschaft, oder die Tippelei, wie sie auch genannt wird, die beste Chance, aus seiner eigenen Komfortzone rauszukommen, über den eigenen Tellerrand zu schauen, seinen Horizont zu erweitern und sich auszuprobieren. Zum einen um sein handwerkliches Geschick und seine Fähigkeiten zu trainieren und zu erweitern, zum anderen trifft man immer wieder neue Menschen und ist in fremden Regionen unterwegs. Da lernt man viel in Sachen Sozialkompetenz, Toleranz und Allgemeinbildung. Man wird offener, selbstbewusster, geduldiger und zuversichtlicher. So habe ich das zumindest erlebt und profitiere bis heute davon.

abi» Wie viele Gesellinnen und Gesellen befinden sich aktuell auf Wanderschaft? Wie viele darunter sind Frauen?

Ansgar Wenning: Ich schätze, in Europa sind ca. 500 bis 600 Gesellen unterwegs – etwa zehn Prozent davon sind wohl Frauen. Genaue Zahlen und Statistiken dazu gibt es aber nicht.

Über Ansgar Wenning

Ein Porträt-Foto von Ansgar Wenning Ein Porträt-Foto von Ansgar Wenning

Ansgar Wenning

Ansgar Wenning (39) ist stellvertretender Zentralleiter Nord beim traditionellen Rolandsschacht.