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Berufe jenseits des Schreibtischs: Verhaltensforscher

Warum piekst ein junger Vogel den Schnabel der Mutter an? Wie beeinflussen menschliche Einflüsse tierisches Verhalten? Verhaltensforscher/innen beobachten und dokumentieren das Verhalten von Tieren, um mehr über sie zu lernen. Wie der Alltag eines Verhaltensforschers oder einer Verhaltensforscherin aussieht und wieso man sich für dieses Feld entscheidet, beantwortet der abi» Podcast.

  • Porträt von Prof. Dr. Oliver K.

    Wir haben bei uns im Lehrstuhl im Moment zwei oder drei sehr große Freilandprojekte. Da sind zum einen die Greifvögel: Wir laufen Mäusebussarden, Habichten oder Uhus hinterher, versuchen festzustellen, wo sie brüten, klettern dann die Horste hoch, nehmen Proben und schauen uns das Verhalten an.

    Prof. Dr. Oliver Krüger ist Professor für Verhaltensforschung an der Universität Bielefeld.

Textversion des Podcasts zum Lesen (Audio-Transkript)

Jingle: abi» – Podcast für die Berufsorientierung!

abi»: Herzlich Willkommen zum abi» Podcast! Mein Name ist Klaus und ich habe mich heute mit Professor Dr. Oliver Krüger unterhalten, der Professor für Verhaltensforschung an der Universität Bielefeld ist. Verhaltensforscher und Verhaltensforscherinnen beobachten und dokumentieren das Verhalten von Tieren, um mehr über sie zu lernen. Welche Verhaltensweisen sind angeboren, welche werden erlernt oder wie beeinflussen menschliche Einflüsse tierisches Verhalten? Verhaltensforscher und Verhaltensforscherinnen führen dazu im Labor Versuche durch, um spezifische Aspekte zu untersuchen, oder sie beobachten die Tiere in freier Wildbahn.

Im universitären Umfeld kommen natürlich auch lehrende, beratende oder informierende Tätigkeiten dazu, aber wie der Alltag eines Verhaltensforschers oder einer Verhaltensforscherin aussieht und wieso man sich für dieses Feld entscheiden sollte, hört ihr im abi» Podcast. Hallo, Herr Professor Dr. Krüger!

Prof. Dr. Oliver Krüger: Ja, hallo!

abi»: Ich steige gleich mit unserer ersten Frage ein: Welches Studium haben sie denn absolviert, und wie sind Sie auf die Idee gekommen, als Verhaltensforscher zu arbeiten?

Prof. Dr. Oliver Krüger: Ich hatte tatsächlich das große Glück, dass ich schon als kleiner Junge voll nach Klischee mit Tieren in der Tasche nach Hause gekommen bin. Für mich war, seitdem ich vier, fünf Jahre alt bin, klar, ich möchte Tiere erforschen. Ich wusste nicht, dass man das über ein Biologiestudium machen kann. Das habe ich dann später rausgefunden und genau das dann auch studiert: Biologie mit den Schwerpunkten Verhaltensforschung, Ökologie und Evolution.

abi»: Haben Sie schon Tiere in freier Wildbahn beobachtet? Auch im Beruf, nicht nur als Kind?

Prof. Dr. Oliver Krüger: Ja, also ich erforsche seit mittlerweile kann man schon sagen, 30 Jahren Tiere in freier Natur. Ich habe früher eine ganze Reihe von Dingen in Afrika mir angeschaut, also Ostafrika und Südafrika. Wir haben bei uns im Lehrstuhl im Moment zwei sehr große oder drei sehr große Freilandprojekte. Da sind zum einen die Greifvögel. Ich bin von Hause aus Vogelforscher, das heißt, wir laufen Mäusebussarden, Habichten, Uhus und so weiter hinterher, versuchen festzustellen, wo die brüten, klettern dann die Horste hoch und nehmen Proben und schauen uns das Verhalten an. Und mit den Proben können wir uns natürlich auch im Labor spannende Dinge anschauen.

Die zweite große Freilandstudie, die wir durchführen, seit mittlerweile auch über 20 Jahren, sind Galapagos-Seelöwen auf Galapagos. Das ist eine fantastische Robbenart, die eben nur auf den Galapagos Inseln vorkommt. Und wir kümmern uns darum, wie Individuen ihren Lebenslauf leben, wann sie mit der Fortpflanzung beginnen, mit welchem Partner und auch wie sie genau Nahrung finden. Das heißt heutzutage, in der modernen Verhaltensforschung, werden zum Beispiel auch Sender und Logger eingesetzt, damit wir eben tatsächlich diesen Tieren in die Tiefen des Ozeans auch folgen können.

abi»: Und mit welchen unterschiedlichen Methoden? Sie haben gerade schon Wildbeobachtungen und Sender und Logger erwähnt, welche Methoden gibt es da noch so, die Sie verwenden?

Prof. Dr. Oliver Krüger: Die Verhaltensforschung, die moderne Verhaltensforschung, ist unheimlich spannend und komplex. Es werden Sender eingesetzt. Natürlich nutzen wir auch die Methoden der modernen Genetik und Genomik. Wir erstellen sozusagen Abstammungslinien unserer Tiere. Wir gucken nach Vaterschaften. Das kann man heutzutage ganz einfach eben mit Blutproben machen. Wir gucken natürlich auch auf genetische Variation. Wir gucken auch im Labor an: Gibt es im Blut zum Beispiel Parameter, die wir mit der Physiologie und dem Verhalten in Bezug setzen können?

Blutparasiten, ein ganz großes Thema bei uns in der Greifvogel-Forschung. Die Greifvögel, die haben Blutparasiten, sowas ähnliches wie Malaria, nur bei Vögeln, und wir gucken uns eben an: Was macht das mit den kleinen Küken, wenn sie eben von diesem Blutparasiten befallen sind? Und das Spannende ist, dass man am Anfang, vor 15 Jahren noch annahm, wir haben Blutparasiten, die sind immer relativ schädlich. Bei den Blutparasiten, die wir eben bei den Greifvögeln finden, kommt mehr und mehr heraus, dass es sich da wahrscheinlich eher um so eine Art Kinderkrankheit handelt. Die macht man so als Küken in zwei, drei Wochen durch, und dann ist man eben auch damit durch, und die Parasiten vermehren sich zwar weiter, aber es hat kaum Auswirkungen auf den späteren Lebenslauf.

Das heißt, die moderne Verhaltensforschung ist sehr viel mehr als eben das beobachten und dann vielleicht aufschreiben. Das machen wir natürlich auch, aber sehr, sehr viele Dinge werden dann auch experimentell angegangen. Man kann auch im Freiland Experimente machen, und das ist natürlich etwas, was die Verhaltensforschung für mich so spannend macht, diese ganze Bandbreite von Sendertechnologie, von Genetik, Genomik, von Versuchen im Freiland oder im Labor bis hin natürlich auch zu mathematischen Modellen. Also viele Studenten, die glauben, dass man zum Beispiel Mathematik in der Biologie nicht so braucht oder auch in der Verhaltensforschung schon mal überhaupt nicht –  und das ist tatsächlich sehr, sehr falsch. Wir brauchen die Mathematik, um eben Modelle zu bauen, zu bilden und zu testen, wie das Verhalten funktioniert, und dafür ist Mathe eben auch wichtig.

abi»: An welche Erlebnisse oder Beobachtungen denken Sie denn besonders gern zurück?

Prof. Dr. Oliver Krüger: Gern sind, sagen wir mal, außergewöhnliche Beobachtungen. Das kann einmal sein, dass man sozusagen einen Adrenalinschock erhält. Das ist mir vor vielen Jahren mal passiert, als an der Grenze zwischen Uganda und dem Kongo ein Berggorilla-Männchen ungefähr einen Meter vor mir stehen geblieben ist. Zum Glück ist er auch stehen geblieben, aber ich kann Ihnen sagen, das war etwas, das werde ich mein Leben nicht vergessen, wenn da so ein 200 Kilo Silberrücken auf Sie zustürmt, und dann hofft man, dass das, was in den Lehrbüchern steht, dann auch zutrifft. Dass der im Allgemeinen eben nur einen Drohangriff macht, um mal zu zeigen, wie stark und wie toll er ist. Hat sich sehr real angefühlt, muss ich sagen. Ich habe das große Glück gehabt, tatsächlich auf allen Kontinenten ganz, ganz viele fantastische Tierbeobachtungen einzusammeln.

Ich erinnere mich zum Beispiel daran, auf der Insel auf den Galapagos Inseln, wo wir mit den Seelöwen arbeiten, haben wir dann eben beobachten können, wie tatsächlich, nachdem ein kleines Seelöwen-Baby geboren worden ist, die Meerechsen haben auf unserer Insel, also der Insel auf den Galapagos Inseln, gelernt, auf die Plazenta zu warten. Die kommt normalerweise kurz nach dem Baby, wird die auch ausgestoßen, und diese Meerechsen, die normalerweise Meeresalgen fressen, die fressen dann die Plazenta von einem Seelöwen, was natürlich sehr viel nahrhafter ist als so eine Meeresalgen-Diät. Und daran sieht man einfach, Verhalten ist eben so flexibel und kann sich so fantastisch an eben neue Gegebenheiten anpassen, an Veränderungen anpassen, dass es für mich eben tatsächlich ein Stück Glück ist, das erforschen zu dürfen. Also ich habe wirklich das große Glück gehabt, mein Hobby zum Beruf machen zu dürfen.

abi»: Das klingt alles extrem abwechslungsreich. Gibt's bei Ihnen in der Arbeit dann auch einen Arbeitsalltag, und wie sieht der dann aus?

Prof. Dr. Oliver Krüger: Absolut, den gibt es immer. Der Alltag besteht auch im Feld, ist Alltag immer wieder mit der gleichen Methode, mit der gleichen Herangehensweise, möglichst reproduzierbar, die Grunddaten zu sammeln, das muss mit Routine einhergehen oder im Labor. Wenn man sozusagen einen genetischen Fingerabdruck macht, dann heißt das eben auch, sehr sauber, sehr sorgfältig, eben routinemäßig zu arbeiten. Für mich natürlich, jetzt als Professor, haben Sie natürlich auch ganz viele andere administrative, verwaltungstechnische, antragstellende Aufgaben, aber ich versuche mir immer wieder, Zeitfenster freizuschaufeln, um noch rauszukommen, denn das ist eben das, was mich immer so an meinem Beruf fasziniert hat, eben wirklich draußen zu sein bei den Tieren, um zu verstehen, warum sie das tun, was sie tun.

abi»: Sie haben es gerade schon erwähnt. Wie oft sitzen Sie dann am Schreibtisch?

Prof. Dr. Oliver Krüger: Am Schreibtisch sitze ich zum Beispiel, um Anträge zu schreiben. Diese Forschung, das ist Grundlagenforschung. Wir haben also keinerlei Kooperation mit der Industrie oder so. Wir brauchen Gelder, um diese Forschung durchzuführen. Diese Gelder müssen Sie in einem kompetitiven Verfahren einwerben, bedeutet also, Sie müssen einen Antrag stellen. Das ist eben meinetwegen 15, 20 Seiten zum Beispiel bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das ist der große deutsche Geldgeber für die Grundlagenforschung in Deutschland. Und dieser Antrag wird dann von anderen Wissenschaftlern begutachtet, und wenn die das dann für gut befinden, dann kann man Glück haben, und man kriegt Geld, um eben Forschung durchzuführen.

Und das ist eben zum Beispiel ganz, ganz wichtig bei dieser Langzeitforschung an Greifvögeln auf Galapagos. Wir müssen immer wieder alle drei, alle fünf Jahre versuchen, eben Gelder zu bekommen, um diesen Tieren weiter zu folgen. Die sind durchaus langlebig, und unser Ziel ist es eben, Tieren über ihr ganzes Leben zu folgen, um diesen Lebenslauf zu verstehen.

Das bedeutet also, ich bin sehr viel mehr Forschungsmanager jetzt, als ich das meinetwegen als junger Doktorand oder Postdoc vor 15, 20 Jahren war. Das gehört dazu. Aber ich versuche mir immer wieder, noch Fenster aufzuhalten, um auch mal draußen zu sein, denn die beste Forschung kommt einfach, indem man die Natur beobachtet und dann tatsächlich sich Fragen stellt: Warum machen die Tiere das? Und das ist der Anfang von eben häufig ganz spannenden Forschungsfragen.

abi»: Sie haben ja schon super viel Spannendes von dem Beruf erzählt. Was ist denn herausfordernd? Was ist denn schwer an dem Beruf?

Prof. Dr. Oliver Krüger: Ich habe das Glück, eben als Professor tätig zu sein. Davon gibt es aber vielleicht 30, 40 Professorenstellen in ganz Deutschland in der Verhaltensforschung. Klar, es gibt noch angrenzende Bereiche in der Evolutionsbiologie, in der Ökologie. Das heißt, eine Universitätskarriere ist niemals planbar. Man braucht sehr viel Glück einfach auch. Man braucht natürlich auch wirklich den Drang und den Enthusiasmus für das Feld. Also, es ist auf jeden Fall so, man muss sehr, sehr viel Zeit investieren, und das macht man natürlich in der Verhaltensforschung sehr gerne, weil es natürlich super spannend ist. Aber dennoch, Garantien gibt es keine. Es ist sehr viel Glück dabei, tatsächlich an der Universität tätig sein zu dürfen, weil eben das ja viele machen wollen.

Das heißt, irgendwann wird es sehr, sehr eng, und zum Beispiel, wenn wir so eine Doktorandenstelle ausschreiben über Galapagos-Seelöwen, dann bewerben sich schon 100 Personen auf eine einzige Stelle. Das heißt also, es wäre völlig falsch zu sagen, da ist ein vorgezeichneter Karriereweg. Es ist ein durchaus kompetitives Feld und man muss immer eigentlich, wenn man diesen Weg beschreitet, das gilt, glaube ich, aber auch für andere Berufsentscheidungen, man muss immer einen Plan Bund Plan C in der Hinterhand haben.

abi»: Ja, vielen Dank für das schöne Interview. Das klingt wie ein richtig spannender Beruf.

Prof. Dr. Oliver Krüger: Das ist es in der Tat. Es ist der schönste Beruf, den man sich vorstellen kann.

abi»: Wenn ihr euch für einen Beruf mit Biologie interessiert, findet ihr auf abi.de die Reportage "Ich will was machen mit Biologie" bei "Orientieren > Was will ich? Was kann ich? > Ich will was machen mit" oder die Berufsreportage "Biologe" bei "Studium > Berufspraxis > Naturwissenschaften > Biologe". Das war dein abi» Podcast. Redaktion und Produktion Klaus Harfmann für den Meramo Verlag im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit.

Weitere Informationen

BERUFENET

Das Onlinelexikon der Bundesagentur für Arbeit bietet über 3.000 aktuelle Berufsbeschreibungen in Text und Bild.

www.arbeitsagentur.de/berufenet

BERUFE.TV

Das Filmportal der Bundesagentur für Arbeit listet 350 Filme über Ausbildungsberufe und Studiengänge.

www.berufe.tv

Studiensuche der Bundesagentur für Arbeit

In der Studiensuche kannst du recherchieren, welche Studiengänge an welchen Hochschulen in Deutschland angeboten werden.

web.arbeitsagentur.de/studiensuche

Check-U – das Erkundungstool der Bundesagentur für Arbeit

Mit dem Erkundungstool Check-U findest du heraus, welche Ausbildungsberufe und Studienfelder besonders gut zu deinen Stärken und Interessen passen.

www.check-u.de