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Vor nicht einmal zweihundert Jahre arbeiteten die meisten Menschen auf Bauernhöfen oder in Werkstätten. Dann zog es sie zu Hunderttausenden in Fabriken und Büros. Heute übernehmen vermehrt Roboter Tätigkeiten in der Produktion, während 75 Prozent der Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich beschäftigt sind. Und morgen? abi» wirft einen Blick in die Zukunft und zeigt, welche Chancen sich durch den Wandel der Arbeitswelt für deine Berufswahl ergeben.
Mika loggt sich zu Hause in seinem Wohnzimmer ins System ein. Ein 3-D-Scanner tastet seinen Körper ab und schon steht er in der Verkehrsleitstelle – als Hologramm in einem virtuellen Raum. Einige Kolleginnen und Kollegen aus der Vorschicht verabschieden sich gerade. Andere kommen dazu, ebenfalls als Hologramme, zugeschaltet aus aller Welt. Klobige Datenbrillen müssen sie dafür seit Kurzem nicht mehr tragen. „Zum Glück“, denkt Mika und scannt die heute anstehenden Aufgaben, die als 3-D-Grafiken frei im Raum schweben.
Mika entscheidet sich dafür, in den kommenden vier Stunden die vollautomatisierten Verkehrssysteme im Norden der Stadt zu überwachen. Wo nötig, wird er neue Updates in die fahrerlosen Bahnen, Autos, Lkws und Flugtaxis einspielen, die Bordcomputer von gestrandeten Fahrzeugen auslesen und bei Hardwarefehlern Reparaturteams losschicken. Zudem wird er in einer Simulation einen neuen Algorithmus testen, der Daten vom Wetterdienst, den Verkehrsnachrichten, der regionalen Veranstaltungsdatenbank und der CO2-Ampel besser verknüpft und somit Routen und Fahrzeugeinsatz verbessert, unterstützt durch Künstliche Intelligenz (KI).
So könnte die Arbeit von morgen in der Mobilitätsbranche aussehen: Algorithmen und KI sorgen dafür, dass der Verkehr energieeffizient, klimafreundlich und reibungslos fließt. „Ein Zukunftsszenario wie dieses ist für die nächsten Jahrzehnte durchaus denkbar, nicht nur in der Mobilitätsbranche, sondern auch in anderen Bereichen. Dafür wird hochqualifiziertes Personal benötigt“, sagt Bernd Dworschak, der sich beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO damit beschäftigt, welche Kompetenzen in der zukünftigen Arbeitswelt gebraucht werden. „Dennoch kann natürlich niemand in die Zukunft blicken. Wohin genau uns der Wandel führen wird, ist noch unklar.“
Klar ist in jedem Fall: Es wird sich in der Arbeitswelt einiges tun. „Arbeit hat sich schon immer gewandelt“, weiß Bernd Dworschak und erläutert, wie die Industrialisierung den Arbeitsplatz Fabrik hervorbrachte und die Elektrifizierung die Akkordarbeit ermöglichte. In den 1970er-Jahren veränderte der Einzug der Informationstechnik, also der Computer, die Arbeit in der Produktion und in den Büros. Das hat nicht nur neue Aufgaben in technischen Berufen mit sich gebracht, sondern auch die im Verwaltungs- und Dienstleistungsbereich verändert. Ein Beispiel: reine Schreibkräfte braucht heute niemand mehr.
Manche Berufsbilder verschwanden im Laufe der Zeit also komplett und neue entstanden: Social-Media-Manager/in beispielsweise, Softwareentwickler/in oder Mechatroniker/in. „Der Wandel ist nichts Neues, durch den technologischen Fortschritt vollzieht er sich jetzt nur viel schneller, der Takt hat sich erhöht“, erklärt Bernd Dworschak.
Der nächste Schritt wird sein, Beschäftigung in die virtuelle Welt zu bringen. Dort bleiben aber Kompetenzen gefragt, die keine KI automatisieren kann: Einfühlungsvermögen und Kreativität.
Bernd Dworschak, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO
Die menschliche Verantwortung fällt nicht komplett weg, schon aus rechtlichen, ethischen Gründen ist das gar nicht möglich. Es wird immer jemanden geben, der Entscheidungen trifft und automatisierte Prozesse freigibt.
Florian Lehmer, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Ganz viel liegt in euren Händen, das muss man verstehen und als Chance wahrnehmen. Unternehmen wünschen sich, dass ihr euch kreativ einbringt. Als Digital Natives könnt ihr die neue Arbeitswelt aktiv mitgestalten.
Mandy Rusch, Berufsberaterin
Derzeit verändert vor allem die Digitalisierung wie wir leben und arbeiten. Die digitale Vernetzung ermöglicht zeit- und ortsungebundenes Arbeiten, etwa am Schreibtisch im Homeoffice oder in Teams, die weltweit um den Globus verteilt gemeinsam Projekte auf die Beine stellen. „Wir arbeiten immer digitaler, der nächste Schritt wird sein, Beschäftigung in die virtuelle Welt zu bringen. Dort bleiben aber Kompetenzen gefragt, die keine KI automatisieren kann: Einfühlungsvermögen und Kreativität“, betont Bernd Dworschak im Interview.
Die Sorge, dass Künstliche Intelligenzen Menschen als Arbeitskräfte irgendwann komplett ersetzen könnten, teilen weder er noch Florian Lehmer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Der Forscher aus der Arbeitsgruppe „Berufe im Wandel“ sagt: „Die menschliche Verantwortung fällt nicht komplett weg, schon aus rechtlichen, ethischen Gründen ist das gar nicht möglich. Es wird immer jemanden geben, der Entscheidungen trifft und automatisierte Prozesse freigibt.“
Einen großen Schwund von Arbeitsplätzen oder vielen qualifizierten Berufen sieht das IAB nicht kommen – im Gegenteil: Der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften für hochqualifizierte Aufgaben wird wachsen. Technologien ersetzen dagegen weiterhin körperliche Arbeit und teilweise organisierende oder koordinierende Tätigkeiten. Welche Berufe in welchem Ausmaß automatisierbar sind, beschreibt der Job-Futuromat des IAB.
Darüber hinaus gibt es weitere Faktoren, die den Arbeitsmarkt verändern können. Florian Lehmer beobachtet auch Krisen wie Corona, Kriege mit Fluchtbewegungen, Ressourcenverknappung und Klimawandel. Möglich, dass Unternehmen und Gesellschaft mit Blick darauf zum Entschluss kommen, das Rad der Globalisierung zurück zu drehen oder das Streben nach wirtschaftlichem Wachstum zu überdenken. „In den Daten sehen wir das allerdings noch nicht“, sagt er.
Die Auswirkungen einer immer älter werdenden Gesellschaft dagegen zeichnen sich deutlich ab. „Wenn die sogenannten Babyboomer, also die zwischen 1946 und 1964 Geborenen, in Rente gehen, werden sich Fachkräfteengpässe verstärken. Das heißt für Unternehmen, dass sie mehr dafür tun müssen, um qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten“, erklärt Florian Lehmer.
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet dies mehr Entscheidungsfreiheit. Es ändern sich also nicht nur die Arbeitsinhalte, -mittel und -orte, sondern auch die Art, wie wir arbeiten, und warum wir arbeiten. Wer als spezialisierte Fachkraft mehrere Optionen hat, präferiert vielleicht ein Unternehmen, das weniger Interesse am Aktienkurs, dafür mehr an einem guten Arbeitsklima und flacheren Hierarchien hat. Zudem könnten gemeinwohlorientierte Start-ups mit Zielen, die Sinn stiften, etwa im Klimaschutz oder auch im sozialen Bereich, größeren Zulauf bekommen.
„Umwelttechnik, Nachhaltiges Ressourcenmanagement – nach solchen Studiengängen werde ich öfter gefragt, aber auch nach systemrelevanten Berufen“, bestätigt Mandy Rusch aus der Praxis. Die Berufsberaterin in der Agentur für Arbeit Leipzig führt dies auch auf den Wunsch nach größerer Sicherheit und Stabilität zurück. In einer Arbeitswelt im starken Wandel wird es beides in fast keinem Beruf und keiner Branche auf lange Sicht geben. „Ich glaube, wovon sich die Schülerinnen und Schüler verabschieden müssen, ist zu sagen: Ich brauche einen Beruf, der mich 40 Jahre trägt“, sagt sie.
Das in Schule, Ausbildung oder Studium erworbene Wissen hat eine immer kürzere Halbwertszeit. Es kommt darauf an, offen für Veränderungen zu sein, flexibel darauf zu reagieren und ein Berufsleben lang dazu zu lernen. Nur so ist es möglich, neuen Aufgaben gewachsen zu bleiben oder ganz neue Arbeitsfelder auszufüllen. Berufliche Wechsel gehören dazu, die Möglichkeiten sich bei Bedarf oder Wunsch weiterzubilden oder neu zu orientieren wachsen, Qualifizierungswege werden durchlässiger.
„Für alle, die sich mit der beruflichen Orientierung schwertun, ist das eine gute Nachricht. Es muss sich eigentlich niemand mehr Sorgen machen, sich falsch zu entscheiden“, sagt Mandy Rusch. Sie appelliert an alle Abiturientinnen und Abiturienten, sich mit dem Wandel der Arbeitswelt auseinanderzusetzen, dabei Vertrauen in die eigenen Potenziale zu haben, offen zu sein und zu bleiben: „Ganz viel liegt in euren Händen, das muss man verstehen und als Chance wahrnehmen. Unternehmen wünschen sich, dass ihr euch kreativ einbringt. Als Digital Natives könnt ihr die neue Arbeitswelt aktiv mitgestalten.“
Informationen zum Thema sowie zur gleichnamigen Wanderausstellung der Bundesagentur für Arbeit
www.arbeit-im-wandel.de
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Forschungsprojekt zum Thema „Transformation der Arbeit durch Digitalisierung“
www.transwork.de
Ergebnisse der Arbeitsforschungstagung 2018 mit internationalen Perspektiven darüber, wie sich Arbeit in Zukunft verändert.
www.arbeitsforschungstagung2018.de
Hier bloggen Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IAO zu Herausforderungen und Trends rund um den arbeitenden Menschen.
blog.iao.fraunhofer.de
Im IAB-Forum finden sich interessante Einblicke in IAB-Projekte, Studien, Dossiers und Serien zu Themen wie „Arbeitsmarkt im Strukturwandel“ oder zur digitalen und ökologischen Transformation.
ww.iab-forum.de
Könnte ein Roboter bald meinen Job erledigen? Der Job-Futuromat ist eine Plattform, auf der Beschäftigte sehen können, zu wie viel Prozent ihre Tätigkeit schon jetzt und in Zukunft automatisiert werden kann.
job-futuromat.iab.de
Das Netzwerk für Berufe der Bundesagentur für Arbeit mit über 3.000 ausführlichen Berufsbeschreibungen in Wort und Bild. Für jeden Beruf kann man sich auch die Digitalisierungstrends anzeigen lassen.
www.arbeitsagentur.de/berufenet
Stand: 01.12.2022
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