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Prof. Dr. Michael Wermke ist Direktor des Zentrums für Religionspädagogische Bildungsforschung an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.
Welche Rolle spielt die christliche Religion heute noch? Muss man religiös sein, um bei der Kirche zu arbeiten? Und was braucht man, um Pfarrer*in zu werden? abi>> hat nachgefragt bei Prof. Dr. Michael Wermke, Direktor des Zentrums für Religionspädagogische Bildungsforschung an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.
abi» Herr Prof. Wermke, welche Bedeutung hat die christliche Religion für junge Menschen heute?
Michael Wermke: Bei dieser Frage geht es nicht nur darum, ob man sich zum Glauben hingezogen fühlt und sich mit dessen Inhalten identifizieren kann. Spielt der Glaube eine aktive Rolle in meinem Leben? Da gibt es schon länger die Tendenz, dass viele Menschen auch als Kirchenmitglieder ein offenes Verhältnis zur Kirche wollen, bei dem sie sich nicht binden müssen.
abi» Wie muss man sich das praktisch vorstellen?
Michael Wermke: Das kann so aussehen, dass man nach der Konfirmation erst einmal den Kontakt zur Kirche verliert, sich bei der Heirat dann aber doch den Ritus der Kirche und den Segen Gottes wünscht. Oder man arbeitet in der Gemeinde mit, weil das eigene Kind gerade in einen christlichen Kindergarten geht. Kommt es in die Schule, löst sich dieser Bezug wieder auf. Religion und Kirche gehört für viele irgendwie dazu, aber sie sind nicht unbedingt lebensbestimmend.
abi» Welche Rolle spielt Religion dann noch?
Michael Wermke: Man kann seit einiger Zeit beobachten, dass die Sehnsucht nach Religion wieder wächst. Zum einen liegt das daran, dass man mit dem Islam auch in Deutschland vorgelebt bekommt, wie eine Religion sein kann, die an die Lebensführung höhere Ansprüche stellt. Zum anderen merken viele, dass ein rein rationales Verständnis über die Welt nicht satt macht. Der Verstand allein gibt auf die großen Fragen nach dem Woher und Wohin, nach dem Sinn des Lebens, nach einem Leben in Frieden und Gerechtigkeit keine befriedigenden Antworten. Ende 2019 hatte die Evangelische Kirche noch 20,7 Millionen, die Katholische Kirche 22,6 Millionen Mitglieder. Es ist die große Herausforderung der Kirchen, gerade auch jungen Menschen auf der Suche nach diesen Antworten auf ihre Fragen beiseitezustehen.
abi» Wie gläubig muss man sein, um bei der Kirche als Arbeitnehmer tätig sein zu können?
Michael Wermke: Das kommt darauf an, in welchem Bereich man dort tätig ist. Die christlichen Kirchen gehören zu den größten Arbeitgebern Deutschlands mit einem sehr breiten Angebot an Arbeitsplätzen. Viele arbeiten dort in der Pflege, in Krankenhäusern, in Schulen und Kindertagesstätten, aber auch im Archiv, im PR- oder IT-Bereich – fast alle Berufsfelder sind bei den Kirchen vertreten. Für zahlreiche Tätigkeiten ist die Mitgliedschaft in der Kirche nicht nötig. Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber wird vorausgesetzt, aber das gilt bei anderen Arbeitgebern genauso. Anders sieht es bei Berufen aus, die den christlichen Glauben verkündigen. So müssen beispielsweise Pfarrerinnen und Pfarrer, aber auch Religionslehrerinnen und -lehrer ihrer jeweiligen Kirche angehören.
abi» Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, wenn man Theologie studieren möchte?
Michael Wermke: Um Theologie zu studieren, muss man nicht gläubig sein. Es ist ein Studium, das nicht Gottes Existenz voraussetzt, sondern mit wissenschaftlichen Methoden der Soziologie, Geschichte, Pädagogik und anderer Disziplinen arbeitet. Wissenschaft und Glaube schließen einander nicht aus. Man sollte gerne lesen und Lust haben, mit Sprache umzugehen. Zu Beginn erlernt man Latein, Griechisch und Hebräisch, um die biblischen Texte im Original lesen und unabhängig von den Übersetzungen verstehen zu können.
abi» Was macht den Beruf der Pfarrerin oder des Pfarrers heute aus?
Michael Wermke: Insgesamt hat man gute Chancen, eine Stelle im Pfarramt zu bekommen. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind heute nicht mehr die „kleinen Könige“ der Gemeinde, sondern müssen Teamplayer sein. Neben Gottesdiensten und Seelsorge kümmern sie sich auch um Kindergärten, Religionsunterricht, die Kirchenbauten, die Verwaltung und noch mehr. Somit ist jeder Tag anders; es gibt immer neue Aufgabenfelder und daher auch viele Entfaltungsmöglichkeiten. Das können bei großen Gemeinden auch schon mal schwierige Arbeitsbedingungen sein. Mich beeindrucken die jungen Leute, die sich dieser Aufgabe aber trotzdem stellen. Der Pfarrberuf ist mindestens genauso spannend und abwechslungsreich wie das Theologiestudium.
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Prof. Dr. Michael Wermke ist Direktor des Zentrums für Religionspädagogische Bildungsforschung an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.
Aktualisiert: 01.09.2021
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