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Was ist eine gesunde und nachhaltige Ernährung und mit welchen Ernährungstrends können wir in Zukunft rechnen? Prof. Dr. Tilman Grune ist wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke und hat mit abi» über diese Fragen gesprochen.
Prof. Dr. Tilman Grune: Definitiv ja. Aber diese Trends bringen auch Probleme mit sich. Denn Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen ein entsprechendes Wissen, um einschätzen zu können, wann ein Lebensmittel nachhaltig produziert wurde und gleichzeitig gesund ist. Zum Beispiel weiß jeder, dass tierische Produkte die CO₂-Belastung erhöhen. Konsumentinnen und Konsumenten steigen deshalb oft auf Fleischersatz-Produkte um, die auf Sojabasis aufgebaut sind. Diese erhöhen dann zwar nicht die CO₂-Belastung, aber der Anbau zerstört dennoch Waldgebiete, vor allem in Südamerika. Auch der Avocado-Anbau oder die importierten Tomaten bringen Probleme mit sich. Das sind komplizierte Zusammenhänge, die nicht immer leicht zu erkennen sind. Das Nachhaltigkeitsproblem wird damit nur verschoben. Deshalb denke ich, dass Lebensmittel nicht nur weiterhin mit einem Nutri-Score versehen sein sollten, der die Nährwerte kennzeichnet, sondern auch mit einem Umwelt- oder Öko-Score – damit man insgesamt besser einschätzen kann, wie belastend die Produkte in der komplexen Wechselwirkung zwischen Nahrungsmittelproduktion und Umwelt sind.
Prof. Dr. Tilman Grune: Ich denke, mit dem zunehmenden Abbau von klassischen tierischen Produkten wird man alternative Rohstoffe finden müssen. Ob das jetzt unbedingt Insekten, Erbsen, Leguminosen (Hülsenfrüchte) oder Produkte auf Soja-Basis sind, sei dahingestellt. Insekten haben zum Beispiel viele Vorteile in der Ernährung. Sie enthalten Fettsäuren, Mikronährstoffe und Proteine. Wenn aber neue Rohstoffe eingesetzt werden, steigt das Risiko, dass sich zum Beispiel unbekannte Allergien oder Mangelzustände entwickeln können.
Prof. Dr. Tilman Grune: Ja – es wird sich was verändern, und das ist auch notwendig. Es gibt die bereits erwähnten Trends und solche, die sich künftig entwickeln werden. Welche Rolle zum Beispiel In-vitro-Fleisch in der Zukunft spielen wird, kann ich allerdings nicht sagen. Was ich nicht glaube ist, dass tierische Produkte vollkommen verschwinden. Einige Fleischprodukte können natürlich ersetzt werden, da gibt es mittlerweile schon sehr viele Produkte auf dem Markt. Wenn wir es schaffen, den Fleischkonsum um circa 40 Prozent zu verringern, haben wir hier in Deutschland viel erreicht und sind damit fast im nachhaltigen Bereich. Bei Milchprodukten ist es etwas schwieriger, denn dafür gibt es noch nicht so viele Alternativen – ich spreche hier unter anderem auch von Butter, Käse und Sahne.
Prof. Dr. Tilman Grune: Das ist schwierig zu sagen, denn es gibt zum einen die Produktforschung und zum anderen die Ernährungsforschung. Innerhalb der Produktforschung entstehen neue Produkte oder bestehende Produkte werden immer weiterentwickelt. Mit der Zeit verbessern sich die Eigenschaften der Produkte und der Geschmack verändert sich. Denken wir mal an das vegetarische Essen vor gut zehn Jahren – da gab es doch nur den Gemüsebratling, oder? Heute gibt es eine riesige Auswahl an vegetarischen und veganen Produkten, und das wird auch von den Verbraucherinnen und Verbrauchern angenommen – sowohl preislich als auch hinsichtlich Geschmack, Geruch und Textur. Dann gibt es zum anderen die Ernährungsforschung. Wenn man jetzt beispielsweise Fleisch aus seinem Essensplan streicht, dann kann es sein, dass der Körper nicht alle wichtigen Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Zink, Eisen und Vitamin B12 bekommt. Lässt man dazu Milchprodukte weg, fehlt noch Calcium. Da muss man dann als Vegetarier oder Veganer schauen, was der Körper braucht. Die Aufgabe der Ernährungsforschung ist deshalb: Ernährungsmuster für die Bevölkerung zu definieren, die nachhaltig und gesund sind und eine ausgeglichene Versorgung gewährleisten. So gehen im Idealfall die Ernährungsforschung und die Produktforschung Hand in Hand.
Prof. Dr. Tilman Grune: Ich glaube, wenn man nachhaltige Ernährung betrachtet, muss man das komplex tun. Im Augenblick geht es in der Öffentlichkeit immer darum, eine Reduktion von CO₂ zu erzielen. Das ist wichtig, aber nur die eine Seite der Medaille. Denn ich würde jetzt ungern sehen, dass wir dieses Problem zwar in den Griff bekommen, aber dafür gleichzeitig andere erschaffen. Wir neigen auch dazu, dieses Problem national zu betrachten, aber es ist ein globales. Denn in Afrika werden die Wasserressourcen gebraucht, um zum Beispiel Kaffee, Kakao oder Früchte zu produzieren, die wir hier in Deutschland konsumieren. Es ist wichtig, hier ein globales Denken zu entwickeln, weil die Lebensmittelproduktströme einfach global sind. Zudem wird die regionale Produktion einfach überbetont – denn zu einer reinen regionalen Lebensmittelproduktion wird es nie kommen, da es seit fast tausend Jahren eine überregionale Verteilung von Rohstoffen gibt. Und diese Entwicklung wird man nicht aufhalten können.
Prof. Dr. Tilman Grune: (lacht…) Ich bin kein Unternehmer. Aber es ist ja logisch, dass ein Unternehmen primär gewinnorientiert vorgeht. Und um Gewinn zu erzielen, folgt ein Unternehmen Trends – und wenn der Trend heißt 'die Konsumenten achten auf tierethische Aspekte', dann richtet sich ein Unternehmen danach. Das ist eine Art schleichende Selbstregulation. Es gibt natürlich auch bestimmte Regularien, mit denen die Regierung eines Landes eingreifen kann. Das sollte man als Mittel auch frühzeitig nutzen und nicht immer erst, wenn es zu spät ist. Zum Beispiel im Sinne von gesunder Ernährung – da ist Deutschland aus meiner Sicht sehr zögerlich. Andere Länder sind da sehr aktiv – zum Teil auch mit bemerkenswerten Erfolgen. Ein Unternehmen richtet sich nach solchen Verbrauchertrends beziehungsweise regulatorischen Anforderungen, sowohl in der Produktion als auch in der Verkaufsqualität. Selbstmarketing, wie es Aldi oder Edeka in Bezug auf die Verwendung von Fleisch machen, ist nicht nur gewinnerzielend, sondern geht außerdem in die richtige Richtung.
Prof. Dr. Tilman Grune: (schmunzelt…) Wünschenswerterweise natürlich gesund und nachhaltig. Ich glaube, die meisten Menschen in Deutschland, dazu zähle ich mich auch, würden lügen, wenn sie sagen, dass sie sich ausschließlich nach edlen Prinzipien ernähren. Das ist ja auch nicht das Ziel. Es geht eher um das durchschnittliche Ernährungsmuster. Würde man Ernährungswissenschaftler fragen, was richtig ungesund ist, würde es nur wenige Nahrungsmittel geben, die als richtig ungesund deklariert werden. Ein ungesundes Produkt kann trotzdem ein paar gute Stoffe enthalten. Deshalb ist Komplexität und Vielfalt in der Nahrung wichtig. Was wirklich schlecht ist, sind zuckerhaltige Getränke – die braucht wirklich kein Mensch. Zudem ist immer die Menge des Verzehrs ausschlaggebend.
Stand: 21.08.2023
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