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Friedens- und Konfliktforschung – Hintergrund: Mehr wissen über Konfliktdynamiken

Die Friedens- und Konfliktforschung ist hierzulande noch ein relativ junges Studienfach. Wer den Masterstudiengang belegen will, braucht einen Bachelor im sozialwissenschaftlichen Bereich, erklärt Dr. Gabi Schlag von der Universität Tübingen.

Ein Bild von Soldaten der Bundeswehr

Manchmal werden auch Simulationen von der Realität beeinflusst. Es war im Frühsommer 2019, als Studierende der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen eine Mediation nachspielten und dabei versuchten, das Atomabkommen mit dem Iran zu retten: „Dabei sind die Studierenden zunächst zu einer Übergangseinigung gekommen“, berichtet Dr. Gabi Schlag, akademische Rätin für Friedens- und Konfliktforschung am dortigen Institut für Politikwissenschaft. Im Mai und Juni jedoch kam es zu sechs ungeklärten Angriffen auf Handelsschiffe und dem Abschuss einer US-Drohne durch den Iran, was auch das studentische Planspiel beeinflusste. „Die aktuellen Ereignisse haben unsere Simulation regelrecht torpediert und unsere Studierenden gelehrt, dass Mediationen nicht einfach sind.“

Mediation: Wenn zwei sich streiten, hilft ein Dritter den beiden Parteien, selbst eine Lösung zu finden. Sie ist jedoch nur ein Teilbereich der Friedens- und Konfliktforschung, auf die sich seit dem Wintersemester 2004/05 jährlich 25 Studierende in Tübingen vorbereiten – damit ist der dortige Master-Studiengang der zweitälteste seiner Art in Deutschland nach jenem an der Philipps-Universität Marburg. Viel länger gehört das Fach in den USA und in Großbritannien zur universitären Lehre, jedoch hat sich in den deutschsprachigen Ländern schon im Krisenjahr 1968 die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung gebildet. Im Portal studienwahl.de sind derzeit acht deutsche Universitäten gelistet, an denen man ein entsprechendes Fach studieren kann.

Absolventen finden sich in vielen Berufen

Ein Foto von Gabi Schlag Ein Foto von Gabi Schlag

Gabi Schlag

Absolventen finden sich laut Gabi Schlag etwa bei Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch, wo sie sich mit Menschenrechtsverletzungen beschäftigen. Aber auch in der Forschung, im Journalismus, im diplomatischen Dienst, in der Politikberatung und in der Politik selbst sind sie gefragt. „Das Studium ist keine Ausbildung zum Friedensarbeiter“, erklärt Gabi Schlag. „Es ist ein ganz normales, wissenschaftliches Studium, in dem man sich mit Ursachen, Dynamiken und der Transformation von Konflikten auseinandersetzt.“

Ein anderes Planspiel während des Studiums dreht sich darum, wie die Vereinten Nationen funktionieren, und bildet ihre Arbeitsprozesse ab. Eine Übung, die nicht nur lokal durchgeführt wird. Gabi Schlag: „Einmal im Jahr reisen Studierende unserer Universität nach New York, wo Studierende aus aller Welt die Arbeit der Vereinten Nationen simulieren.“ Darüber hinaus geht es während der Studienzeit unter anderem um Konzepte, die Frieden und Konflikte definieren, um Instrumente der Konflikttransformation, die Rolle der EU in der internationalen Politik und um Menschenrechte.

Es zählt nicht nur die Bachelornote

„Formal gesehen ist unser Master Friedensforschung und Internationale Politik ein konsekutives Programm“, erklärt Gabi Schlag. Das heißt: Ein Bachelor im sozialwissenschaftlichen Bereich ist nötig, bestenfalls in der Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Friedensforschung oder Internationale Beziehungen. Es gibt allerdings immer wieder Ausnahmen, die von der allgemeinen Qualifikation der Bewerber abhängig sind. Es zählt dabei nicht nur die Bachelornote, sondern ob ein Bewerber etwa Auslandserfahrung hat im Rahmen von Semestern oder Praktika, beispielsweise bei der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen. Das Auswahlkomitee sieht am Lebenslauf und Motivationsschreiben, ob jemand wirklich Interesse mitbringt. Ab Wintersemester 2020/21 wird der Studiengang in Englisch gelehrt und studiert.

Zudem gibt es charakterliche Voraussetzungen. „Auf alle Fälle braucht man einen Forscherinstinkt, um herausfinden zu wollen, warum manche Konflikte eskalieren und andere nicht“, sagt Gabi Schlag. „Man muss Dinge verstehen und erklären wollen, die auf den ersten Blick komplex erscheinen.“ Hilfreich sei eine internationale Orientierung, Interesse an anderen Ländern und ihren Kulturen sowie die Bereitschaft, bisher Selbstverständliches in Frage stellen zu können, im Team zu arbeiten und sich einzubringen. „Wir wollen Studierende, die den Studiengang mit Leben füllen und daran interessiert sind, dass unser Wissen über die Ursachen von Konflikten und die Bedingungen von Frieden auch praktische Wirkung entfaltet.“

Damit der Berufseinstieg gelingt, rät Gabi Schlag Studierenden, bereits während des Studiums mit Praktika die Weichen zu stellen. „Das muss nicht unbedingt beim Wunscharbeitgeber sein, aber wenn man später bei einer Nichtregierungsorganisation arbeiten will, sollte man schon zu Studienzeiten in diese Richtung gehen.“

Statt Referendariat und zweitem Staatsexamen bewarb er sich also für einen der knapp 40 Studienplätze in Friedens- und Konfliktforschung, welche die Marburger Philipps-Universität in jedem Jahr anbietet – gemeinsam mit bis zu 400 anderen Bachelorabsolventen, die sich üblicherweise hierfür interessieren. „Zu Gute kamen mir beispielsweise meine Kenntnisse in Englisch, Spanisch und Französisch“, weiß er. Auch dass er eine Zeitlang an der Volkshochschule tätig war und dabei Geflüchtete in der deutschen Sprache unterrichtete, gab er als Erfahrung in seiner Bewerbung an. Des Weiteren hatte er einen Studienaufenthalt an der Pennsylvania State University in den USA absolviert und sich für den Verein Weitblick Marburg e.V. bei Kooperationsprojekten in Indien und Kenia engagiert.

Die Ausrichtung des Studiums ist ebenso international. In einem Planspiel beispielsweise ging es um eine internationale Gemeinschaft, ähnlich den Vereinten Nationen, insbesondere um einen Konflikt im krisengeschüttelten, fiktiven Rosanien. „Da gab es verschiedene ethnische Gruppen, die in Konflikt stehen und teils Verbündete in Nachbarländern haben“, berichtet Florian Thaller. Im Spiel vertrat jeder Teilnehmer eine dieser Gruppen: „Da gab es Intrigen, keiner konnte dem anderen vertrauen. Am Ende stellte sich heraus, dass sich in meinem Team ein Maulwurf befand, der Informationen weitergab.“

Das erste Semester begann zunächst mit einer Einführungsveranstaltung, durch die alle Studierenden mit den Grundlagen vertraut gemacht wurden: etwa mit Konflikttheorien und methodischen Ansätzen zur Lösung derselben. Auch hier gab es eine praktische Übung, bei der die Studierenden in Gruppen aufgeteilt wurden und jeweils die komplexen Zusammenhänge eines Konfliktes darstellen und zur Diskussion stellen sollten. Florian Thallers Gruppe stellte den Konflikt im südchinesischen Meer vor, bei dem China Anspruch auf zwischen Malaysia, den Philippinen und Vietnam gelegenen Inseln erhebt. „Wir verwandelten die Konfliktparteien in landestypische Figuren: China war ein Drache, die USA waren ein Adler und Vietnam ein zweiköpfiges Axolotl, um auf die historische Dimension der ideologischen Spaltung einzugehen.“ Dann beschrieb die Gruppe den Konflikt als Fabel.

Internationale Kooperationen der Universität

Auch Auslandsaufenthalte gehören zu dem Studium wie selbstverständlich dazu. So nahm Florian Thaller etwa an einer einwöchigen Sommeruniversität in Budapest teil, wo er sich speziell mit dem Thema Mediation beschäftigte. Und er wird über ein Austauschprogramm der Universität Marburg für ein halbes Jahr nach Tokio gehen, wo er auch seine Grundkenntnisse der japanischen Sprache ausbauen wird. „Das Studium sieht weiterhin ein dreimonatiges Praktikum vor, das ich eventuell in Guatemala absolvieren werde“, sagt Florian Thaller.

Durch internationale Kooperationen bietet die Universität einige Möglichkeiten für Auslandssemester und Praktika. „Jedoch ist auch Eigeninitiative gefragt.“ Man setzt eigene Schwerpunkte, bringt sein eigenes Profil ein und baut dieses aus. „Je nachdem, was man nach dem Studium machen will, erweitert man seine Kompetenzen.“ Besonders reizvoll findet er die interdisziplinäre Ausrichtung der Lehre, unter anderem mit Inhalten aus der Soziologie, der Sozialpsychologie, den Politikwissenschaften.
Nach dem Master strebt Florian Thaller eine Arbeit in der Forschung an, nach Möglichkeit auch eine Promotion. „Ich würde gerne an einer Universität oder Forschungseinrichtung im Ausland arbeiten – oder in die diplomatische Richtung gehen.“ Genau festgelegt hat er sich noch nicht. „Die Möglichkeiten sind vielfältig.“

Weitere Informationen

Studiensuche

Die Studiensuche der Bundesagentur für Arbeit hilft dir bei der Auswahl von Studienort und Studienfach.
https://con.arbeitsagentur.de/prod/studiensuche/suche

BERUFENET

Das Netzwerk für Berufe der Bundesagentur für Arbeit mit über 3.000 aktuellen Berufsbeschreibungen in Text und Bild (Suchwort: Friedens-, Konfliktforschung)
https://berufenet.arbeitsagentur.de

studienwahl.de

Informationsportal der Stiftung für Hochschulzulassung in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit. Hier findest du Informationen zu allen Studienmöglichkeiten in Deutschland
www.studienwahl.de

Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

hsfk.de

Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung

hiik.de

Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung e.V.

historische-friedensforschung.org

Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V.

afk-web.de