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Über die Rolle der Geisteswissenschaften in der Zukunft spricht abi» mit Evelyn Gius, 1. Vorsitzende des Verbandes Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e.V. und Professorin für Digital Philology an der Technischen Universität Darmstadt.
Evelyn Gius: Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler befassen sich mit Produkten der menschlichen Kreativität und Arbeit. Das können Texte, Bilder, Gebäude oder andere kulturelle Zeugnisse sein. Die Geisteswissenschaften erforschen sie, um sie besser zu verstehen, ein Verständnis für die menschliche Kultur zu schaffen und historische Entwicklungen aufzuzeigen.
Evelyn Gius: Der Aufgabenbereich der Geisteswissenschaften erweitert sich in der digitalen Zeit auf zwei Ebenen: Zum einen digitalisieren sich die Forschungsgegenstände und neue Themen rücken in den Fokus. In der Kunst spielt beispielsweise virtuelle Realität oder Künstliche Intelligenz als Erschaffer von Kunstwerken eine Rolle. Texte sind digital verfügbar und es gibt neue Textformen wie Hypertexte oder Fanfiction, also Texte, die in eigenen Foren von Fans bestimmter Bücher geschrieben werden. Zum anderen wird aber auch der Werkzeugkoffer der Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler größer. Mit digitalen Möglichkeiten ergeben sich zusätzliche Herangehensweisen an die Forschungsgegenstände. Nun können große Mengen an Texten durch Computer beispielsweise auf bestimmte Verwendungen von Wörtern oder andere Muster durchsucht werden.
Evelyn Gius: In der Entwicklung in das digitale Zeitalter haben die Geisteswissenschaften eine Schlüsselrolle inne. Sie helfen, ein Verständnis für die Prozesse in der Gesellschaft zu schaffen und Reflexionen zu liefern. Sie analysieren den Prozess und geben der Gesellschaft die Möglichkeit zu hinterfragen: Ist das gerade in unserem Sinne? Wollen wir das so? Auch die Daten und Algorithmen müssen kritisch gesehen werden. Wer hat die Daten eingespeist, wer wird vielleicht dadurch ausgegrenzt? Das sind wichtige ethische, soziale und politische Fragen. Eine Medien- und Datenkompetenz ist deshalb für die gesamte Gesellschaft wichtig, übrigens auch als Lehrstoff in den Schulen.
Evelyn Gius: Das klassische Studium der Geisteswissenschaften ist mit der Digitalisierung nicht verschwunden. Die digitale Herangehensweise in den einzelnen Disziplinen, wie sie in den Digital Humanities praktiziert wird, erweitert nur die einzelne Geisteswissenschaft. Somit kann man das Fach noch genauso studieren wie schon immer. Zusätzlich gibt es aber seit ungefähr zehn Jahren vermehrt Studiengänge, die sich auf einen digitalen Zugang zu den Gegenständen spezialisieren. Der Zugang zum Forschungsgegenstand hat sich nur verändert: Während in der klassischen Geisteswissenschaft einzelne Artefakte intensiv angeschaut werden, gehen Digital Humanities mit den computergestützten Methoden vor allem in die Breite. Diese Methoden werden auch in die klassischen Studiengänge finden, aber diese nicht ersetzen.
Evelyn Gius: Zunächst sollte man sich für die Gegenstände des Faches interessieren und die Fragen dahinter interessant finden. Man muss dafür nicht programmieren können, sondern wird im Studium an die Informatik-Bestandteile herangeführt. Wenn man in der Schule Mathematik nicht besonders spannend fand, ist das kein Hinderungsgrund. Die Mathematik- und Informatikanteile sind einsatzgebunden und somit meistens interessanter. Wer in eine geisteswissenschaftliche und mathematische Richtung begabt ist, kann in diesen Studiengängen beide Bereiche vertiefen. Absolventinnen und Absolventen digitaler Geisteswissenschaftsstudiengänge haben anschließend sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Stand: 27.09.2024
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