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Studieren mit Behinderungen – Interview: „Psychologische Hilfe anzunehmen ist kein Tabu mehr“

Andrea Porz ist Leiterin der Abteilung „Beratung“ im Studierendenwerk Koblenz. Als Beraterin der ersten Stunde spricht sie über das Studieren als potenziellen Risikofaktor für psychische Erkrankungen und über die Bedeutung von Unterstützungsangeboten.

Porträt von Andrea Porz, Leiterin der Abteilung „Beratung“ im Studierendenwerk Koblenz

abi» Frau Porz, man hört immer häufiger, dass die Zahl von Studierenden mit psychischen Problemen zunimmt. Entspricht dies auch Ihren Erfahrungen aus 28 Jahren Praxis?

Andrea Porz: Ja. Unsere Statistik, die unter anderem unterschiedliche „special needs“ anzeigt, zeigt einen deutlichen Anstieg von Studierenden mit psychischen Problemen, ebenso einen Anstieg der Studierenden, die bereits mit einer Diagnose zu uns kommen. Insbesondere in und seit den Zeiten der Coronapandemie stieg die Zahl enorm.

abi» Erhöht Studieren das Risiko, psychisch zu erkranken? Oder ist es selbstverständlicher geworden, psychische Beratung in Anspruch zu nehmen?

Andrea Porz: Beides. In den vergangenen Jahren werden wir in der Beratung mehr „gesehen“, vielleicht kann man von einer Enttabuisierung des Themas „Ich brauche Hilfe“ sprechen. Das führt dazu, dass einige Studierende schon zu uns kommen, bevor es richtig schwierig wird. Ein Studium bringt neue Aufgaben und Herausforderungen mit sich. All das kann manchmal zu Unwägbarkeiten und vielleicht auch zu Schwierigkeiten führen. Hinzu kommt, dass viele Studierende mit finanziellen Unsicherheiten und/oder mit familiären Verpflichtungen Doppel- oder Dreifachbelastungen ausgesetzt sind.

abi» Welche Themen dominieren heute in der Beratung?

Andrea Porz: Studierende kommen mit vielen unterschiedlichen Themen, die sich häufig auch wechselseitig bedingen, zu uns – insbesondere Probleme mit dem Selbstwert oder der Identität, mit Ängsten und Schwierigkeiten bezüglich des Studienabschlusses.

abi» Wie ordnen Sie diese Entwicklung ein?

Andrea Porz: Vorsichtig gesagt: Es wird nicht einfacher werden – dies gilt für alle Studierenden. Sicher spielen da globale, gesellschaftliche und viele weitere Aspekte eine Rolle. Das heißt, es ist zu überlegen, wie wir für alle und natürlich insbesondere für junge Menschen lebenswertere und gesündere Bedingungen schaffen können. Hier sind alle in der Verantwortung.

abi» Was heißt das?

Andrea Porz: Konkret braucht es an den Hochschulen gute Anlaufstellen und Beratungsangebote für Studierende; und darüber hinaus auch außerhalb der Hochschulen viel schneller erreichbare – und mehr – Möglichkeiten der psychologischen und psychiatrischen Unterstützung, ohne lange Wartezeiten. Die Zusammenarbeit mit den Serviceeinrichtungen der Hochschule erlebe ich persönlich als wertvoll und äußerst hilfreich für meine Beratungsarbeit mit einzelnen Menschen. Diese wichtige Netzwerkarbeit funktioniert, und mit Blick auf die Zukunft bin ich zuversichtlich, dass wir da dranbleiben werden.