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Studieren mit chronischer Erkrankung: Ein stetiger Balanceakt

Jo G. (23) ist queer, studiert Journalismus – und lebt mit einer chronischen Krankheit. Im Gespräch mit abi» erzählt Jo, wie they den Studienalltag erlebt und mit den täglichen Herausforderungen umgeht.

Nahaufnahme der Hände eines jungen Mannes in einem Jeanshemd, der auf einem hellgrauen Laptop tippt. Auf dem Schreibtisch liegen auch ein Notizblock, ein Handy und ein Stift sowie im Hintergrund eine Uhr, eine Tischlampe und eine Teetasse.

Bereits während meiner Schulzeit und nach dem Abitur habe ich in der Pflege gearbeitet – sowohl ehrenamtlich als auch im Rahmen von Praktika. Aus gesundheitlichen Gründen musste ich diese Tätigkeit jedoch aufgeben. Neben sozialen Themen interessiere ich mich für Geschichte, Wissenschaft und Programmieren. Ich bin kreativ, künstlerisch veranlagt und schreibe gerne. Um meine Fähigkeiten weiterzuentwickeln und meinen Traum, als Journalist*in zu arbeiten, zu verwirklichen, studiere ich seit Anfang 2022 Journalismus an einer staatlich anerkannten Fernuniversität.

Ich habe mich bewusst für eine Fernuni entschieden, da eine herkömmliche Universität derzeit mit zu vielen Herausforderungen verbunden wäre und ich mehr Unterstützung benötigen würde. Die Flexibilität des Fernstudiums ermöglicht es mir, in einem Umfeld zu lernen, das besser auf meine individuellen Bedürfnisse und gesundheitlichen Gegebenheiten abgestimmt ist. So kann ich mein Studium erfolgreich verfolgen, ohne zusätzlich dem Druck ausgesetzt zu sein, der in einem regulären Hochschulsetting entstehen könnte.

Lernen im eigenen Tempo

Für mich ist es nicht selbstverständlich zu studieren. Ich lebe mit mehreren chronischen Erkrankungen, darunter ME/CFS. Das Chronische Fatigue Syndrom (CFS), auch myalgische Enzephalomyelitis (ME) genannt, ist eine häufige und schwer verlaufende Multisystemerkrankung. Außerdem habe ich eine entzündliche Nervenkrankheit und den Verdacht auf Morbus Crohn, eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung. Darüber hinaus bin ich Autist*in mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Diese Erkrankungen äußern sich bei mir unter anderem in Symptomen wie Lichtempfindlichkeit, Muskelschmerzen, Erschöpfung, Schwindel und Konzentrationsschwäche. Auch Brain Fog ist mein ständiger Begleiter. Der Name ist Programm, denn es gibt Tage, da fühlt sich alles wie in dichtem Nebel an, sodass ich kaum etwas machen kann. Nicht einmal lesen, weil dazu die Konzentration fehlt.

Aufgrund dieser Symptome brauche ich mehr Zeit für mein Studium – und glücklicherweise bekomme ich diese auch. Da ich an einer Fernuni bin, kann ich sehr autonom arbeiten. Ich lerne in meinem eigenen Tempo und habe Strategien entwickelt, um meine Arbeits- und Lernphasen an meine Bedürfnisse und meinen Gesundheitszustand anzupassen. Oft arbeite ich abends und nachts, wenn meine Medikamente wirken und ich weniger Reizen ausgesetzt bin. Ich nutze diese produktiven Phasen und schaffe in wenigen Stunden oft mehr als andere in derselben Zeit. Der moderne Online-Campus meiner Uni unterstützt mich dabei. Ich kann auf eine große Online-Bibliothek zugreifen, kann Lerninhalte mithilfe einer Vorlesefunktion anhören und Prüfungen digital von zu Hause aus absolvieren.

Realistisch bleiben und den eigenen Weg finden

Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, die ein Studium aufnehmen möchten, möchte ich Folgendes mit auf den Weg geben: Es wird vielleicht nie ganz einfach, aber es ist machbar. Ihr werdet viele Hürden überwinden, Formulare ausfüllen und Anträge stellen müssen – und auch finanziell kann ein Studium mit Behinderungen eine Herausforderung sein. Mein Tipp: Wenn ihr eine Wunsch-Uni habt, informiert euch frühzeitig über die Barrierefreiheit und wie inklusiv die Hochschule ist. Prüft, ob ihr eine Studienbegleitung oder andere Unterstützung benötigt. Individuelle Hilfe ist für Studierende mit Behinderungen oft entscheidend. Studienassistenzen, flexible Abgabefristen, verlängerte Bearbeitungszeiten bei Prüfungen und kompetente Beratungsstellen, die auf eure Bedürfnisse eingehen, können einen großen Unterschied machen. Findet euer eigenes Erfolgsrezept. Auch wenn es ein stetiger Balanceakt ist: Ich glaube fest daran, dass es alternative Wege gibt, um meine Ziele zu erreichen.