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Ist das wirklich so? Berufe und Klischees: Fachkraft für Abwassertechnik

Dreck und Fäkalien wegmachen – ein unhygienischer und monotoner Berufsalltag, für den man nicht viel können muss. Oder? Wie die Arbeit als Fachkraft für Abwassertechnik tatsächlich aussieht und welche Karrierechancen dieser zu Unrecht negativ behaftete Beruf mit sich bringt, erfährst du in dieser Folge des abi» Podcasts.

  • Porträt von Sophia Nerrether

    Das ist manchmal wirklich richtig Detektivarbeit: Warum ist das jetzt zum Beispiel so? Und dann muss man manchmal sogar fünf Schritte davor gucken, weil eigentlich die Problematik von der Anlage aus angeht und die andere sozusagen nur die Symptome davon verspürt. Das ist manchmal wirklich wie so ein Krimi bei uns.

    Sophia Nerrether ist inzwischen geprüfte Abwassermeisterin in Berlin.

Textversion des Podcasts zum Lesen (Audio-Transkript)

Jingle: abi» – dein Podcast für die Berufsorientierung

abi»: Hi, hier ist Anne vom abi» Podcast. Es geht mal wieder um Klischees. Fachkräfte für Abwassertechnik. Vielleicht hast du diese Bezeichnung schon mal gehört. Sie steuern die umwelttechnischen Anlagen bei der Abwasserreinigung. Aber wen hat man denn da eigentlich vor Augen? Einen männlichen Klotechniker, der für andere den Dreck weg macht? Ist das wirklich ein monotoner Beruf? Unhygienisch? Zum 1. August 2024 wurde die Ausbildung modernisiert. Azubis erhalten nach erfolgreichem Abschluss von nun an die Berufsbezeichnung Umwelttechnologe oder -technologien für Abwasserbewirtschaftung. Neuer Titel, neuer Ruf – vielleicht geraten alte Klischees damit sowieso in Vergessenheit. Aber was ist überhaupt dran? Das finden wir heute gemeinsam mit Sophia Nerrether heraus.
Hallo Sophia, schön, dass du beim heutigen abi» Podcast dabei bist.

Sophia Nerrether: Hallo, Anne.

abi»: Du bist Fachkraft für Abwassertechnik und du arbeitest schon ein paar Jahre in diesem Beruf. „Da muss man den Dreck und die Fäkalien wegmachen." Wie reagierst du auf so ein allgemeines Klischee?

Sophia Nerrether: Also, es ist natürlich eine ganz verknappte Darstellung dieses Berufes. Wir haben ja natürlich einen hohen technischen Standard in Deutschland, das heißt, man kommt ja ganz oft mit diesen Fäkalien auch gar nicht mehr in Berührung. Bei diesem Beruf geht es eigentlich viel mehr darum, die ganze Anlagentechnik zu überwachen und auch zu entstörern, wenn da irgendwas ist, was nicht in Ordnung ist. Und ansonsten ist es eigentlich ein sehr vielfältiger Beruf tatsächlich. Also man nimmt Proben, man erörtert Probleme, man schaut nach dem Rechten. Also es ist nicht nur, dass man da Fäkalien wegfegt.

abi»: Also ist an diesem Klischee eigentlich nicht so viel dran. Wie sieht es denn aus mit Folgenden: „Ein monotoner, unkreativer, gesundheitsgefährdender Job. Und man muss gar nicht so viel können." Was sagst du dazu?

Sophia Nerrether: Oh, also dass man dafür gar nicht so viel können muss, das würde ich so auf jeden Fall nicht unterschreiben. Also man braucht auf jeden Fall logisches und technisches Verständnis, um zum Beispiel Störungsursachen herauszufinden. Es ist ja nicht nur, dass wir die Maschinen arbeiten lassen, sondern wir müssen halt diesen Maschinen auch sagen, was sie zu tun haben. Wir arbeiten ja zum Beispiel auch mit Mikroorganismen, die unser Abwasser für uns reinigen. Und denen muss man natürlich sagen: „Wie lange darfst du denn in unserem Becken bleiben? Musst du wieder zurück ins Becken gepumpt werden oder brauchen wir dich nicht? Also entlassen wir dich sozusagen." Dann müssen wir Schlemme auch noch weiterbehandeln. Dazu kommt, dass wir halt immer neuere technische Voraussetzungen erfüllen müssen für die Abwasserreinigung und da ist schon Köpfchen gefragt. Manchmal muss man auch körperlich ran. Also gerade bei Reinigungsarbeiten bringt so ein Gardena-Schlauch meist wenig. Das heißt, man muss halt auch mit C-Schläuchen zum Beispiel umgehen können. Das sind Feuerwehrschläuche. Reinigungsarbeiten sind super wichtig für unsere eigene Hygiene. Dieses Klischee des Unhygienischen, das stimmt nur, wenn das Personal vor Ort nicht selber darauf achtet.

abi»: Okay, diese Vorurteile treffen schon mal nicht zu. Man muss sehr wohl etwas können und unhygienisch wirds nur, wenn man die Hygienestandards missachtet. Gibt es denn nach der Berufsausbildung Aufstiegschancen?

Sophia Nerrether: Also nach der 3-jährigen Ausbildung lohnt sich das natürlich, erstmal ein bisschen Berufserfahrung zu sammeln, denn viele Vorfälle muss man erstmal erleben. Viele Störfälle müssen erst mal eintreten und dann gibt es verschiedenste Möglichkeiten. Man kann zum Beispiel den Abwassermeisterlehrgang besuchen, man erwirbt dort die Qualifikation, um Führungskraft zu werden für sein Team. Das heißt die Arbeiten zu koordinieren, neue Leute anzuleiten. Man kann den Techniker machen, das ist ebenso eine Weiterbildung, werden meistens nebenberuflich erfüllt und dort lernt man zum Beispiel ganz viel umwelttechnisches Hintergrundwissen und kann dadurch zum Beispiel auch Ausbilder werden oder halt eben auch bis in die Ingenieursebene es schaffen. Dazu gibt es auch verschiedene Studiengänge, wie zum Beispiel die Verfahrenstechnik. Also wir haben ein verfahrenstechnischen Beruf, dort lernen wir, wie funktionieren denn unsere Anlagen wirklich? Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen den verschiedenen Verfahrensstufen bei uns in der Kläranlage? Und da schafft man es unter Umständen auch schon bis zum Betriebsingenieur, wenn nicht sogar bis zur Klärwerksleitung.

abi»: Also da kann man offensichtlich richtig Karriere machen.

Sophia Nerrether: Auf jeden Fall. Das ist super vielfältig. Also von Metalltechnik über Elektrotechnik. Dann haben wir natürlich die ganze Biologie, Physik, Thermodynamiken. Also das ist wirklich ein sehr breites Feld, was man erstmal so unterschätzt, wenn man natürlich denkt, dass wir da nur Fäkalien wegschippen.

abi»: Fallen dir spontan richtig schöne Erlebnisse aus deinem Berufsalltag ein?

Sophia Nerrether: Schöne Erlebnisse. Das ist immer so Ansichtssache. Tatsächlich. Aber eigentlich muss ich sagen, was ich immer schön fand, war, wenn wirklich Störungen sind, das dann irgendwie alle zusammengehalten haben. Bei uns ist das ja so, wir holen ja als Allererstes den ganzen Müll aus dem Abwasser, also unser Rechengut, das sind Frauen-Hygieneartikel, Feuchttücher – ganz schlimm – und die werden halt über eine Rechenanlage, das ist einfach nur ein Sieb, aus dem Abwasser rausgeholt und dann fällt das über so eine Weiche in einen großen Container. Und im Normalfall geht es eigentlich nicht, dass dort was abgeworfen wird, wenn da kein Container steht. Aber den einen Tag war das halt irgendwie so

abi»: Oh nein!

Sophia Nerrether: und das war dann auch noch Freitag, so kurz vor Feierabend. Das war nur noch eine Handvoll Leute da. Und dann kam der Funkspruch: „Ey, ich brauche hier Hilfe!" Und dann sind wieder alle mit unseren Fahrrädern – also die brauchen wir, weil das Gelände so riesig ist bei uns – also sind wir da alle mit den Fahrrädern hin, haben irgendwie die Schippen zusammengesucht, noch so ein paar Transportbehältnisse und haben dann da angefangen zu schippen und das alles wegzuspritzen. Und dann kam noch der Fremdwagenfahrer an, der den Container abholen wollte. Hat auch noch mitgeholfen. Weiß nicht wie, so Momente, wo wir uns so dachten: Ja doch. Also wenn es hart auf hart kommt, dann macht hier wirklich jeder mit und keiner ziert sich. Und man muss auch dazu sagen, dadurch, dass ja die Anforderungen an unsere Abwasserreinigung ja immer höher werden, gibt es natürlich auch immer neuere Anlagen bei uns, die natürlich auch erst mal erkundet werden müssen. Und wenn wir da halt dann immer so Exkursionen zusammen machen, dann sind wir meistens so Gruppen von 10 bis 20 Leuten und schauen uns das an und dann redet man so. Was soll das denn sein? Das sind auch immer so schöne Momente.

abi»: Und wahrscheinlich allgemein Lösungsfindungen, oder? Wenn da Probleme auftreten, dass man einfach nach Lösungen sucht und die bestenfalls auch findet. Und dann ist das wahrscheinlich auch sehr erfüllend.

Sophia Nerrether: Ja, auf jeden Fall. Vor allem, also wir haben ja eine gewisse Redundanz bei uns auf den Kläranlagen. Also das heißt, wenn eine Pumpe ausfällt, haben wir immer noch eine Ersatzpumpe, meistens sogar noch eine dritte. Das ist manchmal wirklich richtig Detektivarbeit. Warum ist das jetzt zum Beispiel so? Und dann muss man manchmal sogar fünf Schritte davor gucken, weil eigentlich die Problematik von der Anlage aus angeht und die andere sozusagen nur die Symptome davon verspürt. Das ist manchmal wirklich so, wie so ein Krimi bei uns.

abi»: Man muss also Kombinationsfähigkeiten mitbringen. Seit August 2024 heißt der Ausbildungsberuf ja jetzt aufgrund einer Neuordnung Umwelttechnologe oder -technologin für Abwasserbewirtschaftung. Wie findest du denn persönlich diese Berufsbezeichnung? Könnte dadurch vielleicht sogar ein neues Image entstehen?

Sophia Nerrether: Das Problem war ja gewesen, dass das Wort „Fachkraft" nicht sehr attraktiv wirkte. Eigentlich war die richtige Überlegung: Wie bekommen wir diese ganzen neuen Themen, also gerade das Thema Regen – ist ein super Zukunftsthema oder auch die Eliminierung von Spurenstoffen. Davon hat ja vielleicht auch jeder schon mal was gehört. Also Hormon- und Medikamentenreste im Abwasser. Da das natürlich vor ungefähr 30 Jahren ja noch gar nicht so das Thema war, musste das natürlich in die Ausbildungsordnung miteingenommen werden und um das wurde das Ganze dann halt ergänzt und um immer zu zeigen, okay, wir haben uns um diesen Beruf gekümmert, wird halt auch eine neue Namensgebung gegeben. Und ich denke auch, dass diese neue Berufsbezeichnung schon ein neues Image in den Beruf bringt. Weil bei Fachkraft für Abwassertechnik war halt so: „Öh, mein Leben lang mit Fäkalien beschäftigen." Also das war zum Beispiel mein Gedanke, muss ich wirklich sagen, als ich das erste Mal davon gehört habe und nur weil ich dann selber darüber mehr nachgedacht hatte, habe ich dann mir gedacht: Okay, das ist wahrscheinlich wirklich die spannendste Ausbildung, die ich jetzt hier machen kann und musste erstmal selber auf diesen Umweltgedanken usw kommen. Und ich hoffe doch, dass diese Berufsbezeichnung das jetzt so ein bisschen mitgibt.

abi»: Ja, spannender Punkt. Wie kamst du denn überhaupt auf diesen Ausbildungsberuf?

Sophia Nerrether: Eigentlich muss ich sagen, das war die Agentur für Arbeit. Da bin ich damals hin und meinte so: „Ja, Biologie liegt mir schon sehr gut, aber ich habe nicht so wirklich eine Idee, was ich so machen könnte." Und dann hat sie mir halt so ein paar Berufsvorschläge gegeben und da war die Fachkraft für Abwassertechnik mit dabei. Und dann habe ich halt darüber nachgedacht und habe da eine Bewerbung abgeschickt und dann war ich dort. Ich habe ja bei den Berliner Wasserbetrieben gelernt und das lief auch wirklich so gut, dass ich mir dachte: Also besser kann es nicht werden. Okay, das ist es jetzt. Wie soll ich sagen, es hat sich halt bestätigt. Das ist super spannend. Es ist auch wirklich auf keiner Kläranlage gleich. Es ist irgendwie immer anders. Man lernt auch nie aus. Und das ist wirklich so eine kleine, nennen wir es mal Wasserwirtschafts-Bubble mit wirklich super interessierten Leuten, von denen man auch immer irgendwie gegenseitig lernen kann. Und letztendlich ist es auch wirklich ein so krisenfester Job, weil Abwasser einfach immer anfallen wird und es immer Leute gibt, die sich darum kümmern werden müssen. Das ist halt auch wirklich sehr typisch für die Branche, dass die Leute auf ihren Job zählen können.

abi»: Das ist doch ein gutes Schlusswort. Ich danke dir für dieses schöne Interview, liebe Sophia.

Sophia Nerrether: Ich danke auch für die tollen Fragen! Da reflektiert man sich ja doch immer selber nochmal ein bisschen.

abi»: Für mich steht fest: Ein ziemlich vielseitiger und spannender Beruf. Und bei den meisten Klischees handelt es sich um widerlegbare Vorurteile. Solltest du dich für weitere Berufe rund ums Thema Wasser interessieren, schau doch mal ins abi» Portal. Unter „Ausbildung > Berufe von A bis Z > Ausbildungsberufe F" berichtet eine Fachkraft für Wasserwirtschaft von ihrer Ausbildung. Ein Beitrag über Studiengänge rund ums Wasser findest du unter „Studium > Studienbereiche > Mathematik, Naturwissenschaften > Geowissenschaften und -technologie". Das war dein abi» Podcast. Redaktion und Produktion Anne Kreitlein für den Meramo Verlag im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit.

Zum 1. August 2024 wurde die Ausbildung zum Beruf „Fachkraft für Abwassertechnik“ modernisiert, Auszubildende erhalten nach erfolgreichem Abschluss von nun an die Berufsbezeichnung „Umwelttechnologe/-technologin für Abwasserbewirtschaftung“. Neuer Titel, neuer Ruf – vielleicht geraten alte Klischees damit sowieso in Vergessenheit.

Weitere Informationen

BERUFENET

Das Onlinelexikon der Bundesagentur für Arbeit bietet über 3.000 aktuelle Berufsbeschreibungen in Text und Bild.

www.arbeitsagentur.de/berufenet

BERUFE.TV

Das Filmportal der Bundesagentur für Arbeit listet 350 Filme über Ausbildungsberufe und Studiengänge.

www.berufe.tv

Die junge DWA

Die Junge DWA ist ein Netzwerk für junge Menschen unter 36 Jahren in der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA).

www.dwa.de/die-junge-dwa

Studiensuche

Die Studiensuche der Bundesagentur für Arbeit unterstützt dich bei der optimalen Auswahl von Studienfach und Studienort.
arbeitsagentur.de/studiensuche

Berufsausbildung und mehr

Ausbildungsplatzsuche der Bundesagentur für Arbeit
www.arbeitsagentur.de/berufsausbildung

Check-U – das Erkundungstool der Bundesagentur für Arbeit

Mit dem Erkundungstool Check-U findest du heraus, welche Ausbildungsberufe und Studienfelder besonders gut zu deinen Stärken und Interessen passen.
www.check-u.de