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Mentoring- und Förderprogramme: Bildungserfolg – unabhängig von sozialer Herkunft

Jedes Jahr beginnen rund 400.000 Abiturientinnen und Abiturienten nach der Schule ein Studium. Im Wintersemester 2021/22 verzeichnete das Statistische Bundesamt 395.485 Studierende im ersten Semester. Überraschend ist dabei die Tatsache, dass der soziale Hintergrund nach wie vor großen Einfluss auf den Bildungserfolg junger Menschen nimmt.

Viele unterschiedliche Zettel hängen an einem Schwarzen Brett.

Das deutsche Bildungssystem ist durchlässig. Jede Schülerin und jeder Schüler kann den höchstmöglichen, der eigenen Leistung und Begabung entsprechenden Bildungsabschluss erwerben – unabhängig von sozialer Herkunft oder Geschlecht. Trotzdem zeigen zahlreiche Studien der vergangenen Jahre, dass Bildungserfolg immer noch stark von solchen Faktoren abhängt.

Wenn es um Bildungsgerechtigkeit geht, ist häufig von einem Trichter die Rede – und der spitzt sich bei Kindern aus Nichtakademiker-Haushalten schneller zu, als bei Kindern, bei denen ein oder beide Elternteile einen Hochschulabschluss haben. 27 von 100 Kindern ohne akademischen Hintergrund beginnen ein Bachelorstudium; bei Akademikerkindern schreiben sich 79 von 100 an einer Hochschule ein. Zu diesem Ergebnis kam der Hochschulbildungsreport 2020 des Stifterverbands und der Unternehmensberatung McKinsey.

Um Kinder und Jugendliche aus Nichtakademiker-Haushalten zu fördern, gibt es zahlreiche Initiativen und Organisationen. Auch einige Stipendienanbieter unterstützen gezielt Studienanfängerinnen und -anfänger ohne akademischen Hintergrund (siehe die Übersicht „Mentoring- und Förderprogramme“). Dabei wird nicht nur finanziell, sondern auch ideell gefördert. Das bedeutet, die Stipendiatinnen und Stipendiaten werden in Workshops, Vorträgen und in Form von individueller Begleitung dabei unterstützt, Fähigkeiten zu erwerben, sich persönlich weiterzuentwickeln und ein Netzwerk aufzubauen, das ihnen aufgrund ihrer sozialen Herkunft oft nicht zur Verfügung steht.

Unterstützung von allen Seiten

Ein Porträtfoto von Victoria Osarogiagbon Nosa. Ein Porträtfoto von Victoria Osarogiagbon Nosa.

Victoria Osarogiagbon Nosa

Neben zahlreichen privaten Organisationen gibt es in Deutschland 13 Begabtenförderungswerke des Bundes. Zu nennen ist hier beispielsweise die Hans-Böckler-Stiftung, das Studienförderungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Die Stipendiatin Victoria Osarogiagbon Nosa hat als Erste in ihrer Familie ein Studium aufgenommen:  Medien- und Kulturwissenschaft an der Universität Düsseldorf. Für ihren Studienwunsch hat sie viel Zuspruch erhalten – von Lehrkräften, Berufsberaterinnen und -beratern und vor allem ihren Eltern: „Die Einstellung, dass ein Studium unmöglich ist, haben mir meine Eltern nicht vermittelt – im Gegenteil. Durch sie habe ich sehr viel emotionale Unterstützung erfahren, auch wenn sie mir ab einem gewissen Punkt in der Schule nicht mehr helfen konnten“, erzählt die Studentin.

Victoria Osarogiagbon Nosa interessierte sich für Journalismus und machte ein Schülerpraktikum bei einer örtlichen Tageszeitung. „Das hat meinen Berufswunsch und die Richtung, in die es gehen sollte, konkretisiert“, berichtet die 19-Jährige. In der Oberstufe nahm sie schulische Angebote zur Studienorientierung wahr, zum Beispiel Messebesuche oder die wöchentliche Berufsberatung an der Schule. „Diese Angebote und persönliche Gespräche mit Familie, Bekannten und auch ehemaligen Mitschülern, die bereits ein Studium begonnen hatten, haben mir den Weg an die Uni geebnet“, findet sie.

Durch den Kontakt zu ehemaligen Stipendiatinnen ist sie auf das breite Feld der Förder- und Stipendienprogramme aufmerksam geworden: „Auf solche Weise gefördert zu werden, empfinde ich als Privileg, und das hat mich schließlich dazu bewogen, mich zu informieren und zu bewerben.“ Das Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung bietet neben finanzieller Absicherung bis zum Ende der Regelstudienzeit auch ideelle Förderung. Bei der Teilnahme an Seminaren, Workshops oder Vorträgen erhalten die Stipendiatinnen und Stipendiaten unter anderem die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen und Kontakte zu knüpfen.

Victoria Osarogiagbon Nosa nimmt außerdem an einem Buddy-Programm an ihrer Universität teil, das speziell für Studierende aus Nichtakademiker-Haushalten gedacht ist. „Als persönliche Ansprechpartnerin habe ich eine ehemalige Studentin an meiner Seite, die an der Uni als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet“, erzählt sie.

Mit Selbstbewusstsein und Eigeninitiative den Sprung schaffen

Aufgrund ihres nigerianischen Migrationshintergrunds nimmt Victoria Osarogiagbon Nosa zusätzlich beim Mentoring-Programm des ADA-Netzwerks (Afro Deutsches Akademiker Netzwerk e.V.) teil, welches Studierende, Professionals und Unternehmen zusammenbringt. Auch solche speziellen Angebote können dabei helfen, sich persönlich weiterzuentwickeln.

„Im Moment versuche ich herauszufinden, wie meine berufliche Zukunft aussehen soll. Dafür möchte ich gerne Erfahrungen im Online-Journalismus und in der Öffentlichkeitsarbeit sammeln“, sagt sie. Was sie gelernt hat: „Es ist wichtig, sich selbst zu vertrauen – gerade dann, wenn man sich aus dem Umfeld keinen Rat holen kann.“

Warum es Förderprogramme braucht und was sie leisten

Ein Porträt-Foto von Ulrich Hinz. Ein Porträt-Foto von Ulrich Hinz.

Ulrich Hinz

„Bildungsübergänge haben eine (selbst-)selektive Wirkung“, berichtet Dr. Ulrich Hinz, Leiter des Studienkompass‘. „Zum einen erhalten Schülerinnen und Schüler mit nichtakademischem Hintergrund weniger Einblicke in den Ablauf und die Möglichkeiten eines Studiums. Es fehlen die Vorbilder und damit die Anregung, über einen akademischen Bildungsweg nachzudenken. Oft sind sie zudem nicht ausreichend vertraut mit dem Bildungssystem und mit den Unterstützungsangeboten, die ihnen zur Verfügung stehen. Für viele ist das Studium eine Finanzierungsfrage. Wenn diese Aspekte aufeinandertreffen, entsteht eine große Unsicherheit, obwohl das Talent für ein Studium vielleicht vorhanden ist.“

Der Studienkompass ist eine von vielen Initiativen und Organisationen, die sich eine gezielte Förderung von Schülerinnen und Schülern ohne akademischen Hintergrund zur Aufgabe gemacht haben (siehe die Reportagen „Keine Scheu mehr vor dem Universum Uni“ und „Ich erkenne mich in meinen Schützlingen wieder“). Ein großes Augenmerk liegt hierbei auf der persönlichen Entwicklung: „Uns ist es wichtig, den Jugendlichen ein sicheres Gefühl für ihre Stärken zu vermitteln und Ressourcen aufzubauen, auf die sie in ihrer Bildungsbiografie zurückgreifen können. Das ist erfolgreiche Förderung, weil sie nachhaltig ist“, erklärt Dr. Ulrich Hinz.

Marion Faber, Leiterin der gymnasialen Oberstufe an der Gesamtschule Nord in Essen-Vogelheim, hat an ihrer Schule besonders viele Schülerinnen und Schüler aus Nichtakademiker-Haushalten. Die Eltern haben beispielsweise einen Migrationshintergrund, empfangen staatliche Hilfe, weil sie arbeitslos sind, oder es gibt einfach niemanden in der Familie, der studiert hat.

Mentoringprogramme für leistungsstarke junge Menschen

Seit der Gründung des Zentrums für Talentförderung durch das Wissenschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen und die Westfälische Hochschule im Jahr 2015 arbeiten Marion Faber und die Gesamtschule Nord mit sogenannten Talentscouts zusammen. Ziel ist die Förderung leistungsstarker und motivierter junger Menschen.

Einmal im Monat kommt der zuständige Talentscout an die Gesamtschule und führt Einzelgespräche mit interessierten Schülerinnen und Schülern. „Wir erkennen relativ schnell, wenn jemand ein bestimmtes Talent besitzt. Dadurch, dass wir unsere Schützlinge über Jahre hinweg von der Sekundarstufe I bis in die Sekundarstufe II begleiten, entsteht ein Vertrauensverhältnis untereinander. Man lernt die Schülerinnen und Schüler so gut kennen“, erklärt die Oberstufenleiterin. „Ein Talent kann vieles sein, zum Beispiel eine Begabung oder großes Interesse für Kunst, Sport oder Naturwissenschaft. Nicht nur besonders gute Noten sind die Kriterien dafür. Alle, die es in die gymnasiale Oberstufe schaffen, sind natürlich in der Lage Leistung zu erbringen.“

Talentscouts begleiten alle Jugendlichen individuell, sie entwickeln Visionen für die berufliche Zukunft, zeigen Wege auf und schaffen hilfreiche Netzwerke. Darüber hinaus stellen die Talentscouts Informationen über organisatorische Faktoren einer Ausbildung oder eines Studiums zur Verfügung: Stipendienprogramme beispielsweise, denn das Studium ist ein Geldfaktor. Diese Art von Förderung ist für Marion Faber vielversprechend, weil sie den Jugendlichen Equipment an die Hand gibt, das ihnen über den Schulabschluss hinaus nützlich sein kann.

Weitere Informationen

studienwahl.de

Infoportal der Stiftung für Hochschulzulassung in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit.
www.studienwahl.de

Deutsches Studentenwerk (DSW)

Allgemeine Infos für Studierende zum Thema Wohnen, zu Versicherungen, Ausbildungsförderung etc.
www.studentenwerke.de

BAföG

Fragen und Antworten zum BAföG, Beispiele und Antragsstellung; zudem BAföG-Beratung und ein BAföG-Rechner.
www.das-neue-bafoeg.de

Förderdatenbank des Bundes

Datenbank mit Suchfunktion für alle Förderprogramme des Bundes, der Länder und der EU. Suchwort: Stipendium.
www.foerderdatenbank.de