zum Inhalt

Baustelle Mensch: Ersatzteile für den Körper

Körpereigene Zellen, Gewebe oder irgendwann sogar komplette funktionsfähige Organe züchten, um dadurch defekte Körperteile ersetzen zu können: Tissue Engineering ist eine der größten Hoffnungen der medizinischen Forschung. Zwischen Naturwissenschaft und Technik bieten sich hier spannende Studien- und Berufsmöglichkeiten.

Ein Mann in Schutzkleidung arbeitet an einer Maschine.

Wenn wir uns in den Finger schneiden oder den Ellbogen aufschürfen, kann sich unser Körper in der Regel selbst helfen. Bei schweren Verletzungen oder Schäden reichen aber unsere Selbstheilungskräfte nicht immer aus. Zum Beispiel, wenn große Teile der Haut verbrannt oder Knorpel und Knochen stark beschädigt sind. Dann sind Expertinnen und Experten gefragt, die Gewebe und Strukturen herstellen, die nicht nur echt aussehen, sondern auch im Körper funktionieren.

Zu diesen Fachleuten gehört Andrea Ewald. Sie arbeitet am Universitätsklinikum Würzburg in der Abteilung für Funktionswerkstoffe der Medizin und der Zahnheilkunde (FMZ), die eng mit dem Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin (TERM) zusammenarbeitet. „Tissue Engineering bedeutet, dass man etwas Gewebeähnliches herstellt.“ Dafür verwendet man ein Gerüstmaterial und besiedelt es mit Zellen, sodass das Ganze wie Gewebe aussieht. Dieses Gerüstmaterial, die sogenannte Matrix, kann verschiedene Formen haben und wird künstlich hergestellt.

„Tissue Engineering wird in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt“, erklärt Andrea Ewald weiter. Wenn man beispielsweise im Labor Medikamente testen und Krankheiten erforschen will, kann man in Zukunft die gewünschten Gewebepartien herstellen und prüfen, ob etwa bestimmte Chemikalien die Haut schädigen. „Ein Vorteil ist, dass sich auf diese Weise Tierversuche vermeiden lassen“, sagt die Expertin.

„Ersatzteile“ in 3-D drucken

In der Klinik ist Tissue Engineering ebenfalls gefragt. „Hat jemand starke Verbrennungen erlitten, kann man im Labor mit den Zellen des Patienten individuell Haut züchten und diese auf die geschädigten Areale setzen“, berichtet Andrea Ewald. Ziel ist es, Herzklappen und Knorpel in Zukunft ebenfalls so ersetzen zu können.

Am FMZ beschäftigen sich die Fachleute außerdem mit Bioprinting. „Die Idee dabei ist, dreidimensionale Strukturen wie Knochen und Knorpel zu drucken“, erklärt die Forscherin. Dafür wird speziell hergestellte Biotinte verwendet, die, ähnlich wie Gelatine, bei Wärme etwas flüssiger wird.

So kann sie in die gewünschte Form gebracht werden und wird dann wieder fest, sobald sie erkaltet. „Wenn man Biotinte außerdem mit Zellen mischt, kann man Strukturen erhalten, die einem Gewebe ähnlich sehen.“ So könnten Knorpel, wie zum Beispiel Ohrmuscheln, nachgebildet werden.

Zukunftsgebiet der Medizin

Tissue Engineering und Bioprinting-Verfahren sind nach Einschätzung von Andrea Ewald ein Zukunftsgebiet der Medizin. „Das ist noch relativ neu, ist aber sehr im Kommen“, sagt sie. Einiges sei bereits entwickelt, insgesamt aber gebe es noch viel Potenzial.

Ähnliches gilt für den Bereich der Prothesen: In diesem Industriezweig soll zum Beispiel mithilfe von belastungsfähigem Material wie Carbon High-Tech-Beinersatz hergestellt werden, wie die Forscherin berichtet. Für diese Aspekte seien vor allem Fachleute der Materialkunde und Ingenieurwissenschaften gefragt. 3-D-Druckverfahren hingegen könnten helfen, passgenau Knochenersatzmaterial zu drucken – wichtig nach Unfällen oder Schäden durch eine Krebserkrankung.

Ein weiterer Zukunftsbereich sind intelligente Implantate aus Smart Materials. „Das sind Materialien, die konkrete Funktionen übernehmen können, so wie die Haut, oder die besonders gut mit dem Körper verwachsen können“, erklärt Andrea Ewald. Unter theranostischen Implantaten hingegen versteht man Implantate, die in den Körper gesetzt werden und dann bestimmte Werte messen und bei Bedarf Medikamente abgeben können. Das kann bei Bluthochdruck genauso wichtig sein wie zur Früherkennung von Schlaganfällen oder bei Menschen mit Herzschrittmachern. Zu Aspekten wie diesen wird unter anderem an mehreren Fraunhofer-Instituten geforscht.

Auch Exoskelette spielen in diesen Wissenschaftsbereichen eine Rolle. Darunter versteht man Strukturen, die den Körper von außen stützen. Bei einer Lähmung des Beins könnte eine digital gesteuerte Schiene aufgesetzt werden, die sich – und damit auch das Bein – bewegt. „Möglicherweise gelingt es so, Ganzkörper-Exoskelette für Querschnittsgelähmte herzustellen“, sagt Andrea Ewald.

Zugang über Biotechnologie oder Medizintechnik

All diese Themen bieten Nachwuchskräften viele Chancen, können aber zugleich eine Herausforderung sein. „Man kann in den Bereichen noch viel gestalten, dafür verändert sich allerdings auch noch viel“, betont Fachfrau Andrea Ewald. Das sollte einem bei der Studienwahl bewusst sein. „Wo man nach dem Abschluss landet, lässt sich derzeit oft nicht vorhersagen.“ Möglich seien etwa Industrieunternehmen, die sich mit Gewebeersatz und Prothesen beschäftigen, sowie Unternehmen, die sich um die Zulassung neuer Produkte kümmern.

Einen ähnlichen Aspekt betont Otto Pompe, Berufsberater der Agentur für Arbeit Rheine in Nordrhein-Westfalen: „Derzeit gibt es nur sehr wenige Studiengänge, die gezielt in diese Berufe führen können.“ Dazu zählen Biotechnologie oder Medizintechnik. Eine andere Variante sei ein Einstieg über die weiter gefassten Biowissenschaften, über Mathematik, Naturwissenschaften oder Bioingenieurwesen sowie Funktionswerkstoffe (siehe auch den Fahrplan).

„Ich finde extrem spannend, wie interdisziplinär dieser Bereich ist“, sagt Andrea Ewald. Mathe, Biologie, Chemie, Pharmazie, Ingenieurwissenschaften – Themen aus diesen Disziplinen spielen eine Rolle und werden interdisziplinär im Studiengang Funktionswerkstoffe vermittelt. „Toll finde ich auch das Ziel unserer Arbeit: Wir machen etwas, um Patienten zu helfen. Das fühlt sich gut an!"

Weitere Informationen

BERUFENET

Das Netzwerk für Berufe der Bundesagentur für Arbeit bietet über 3.000 aktuellen Berufsbeschreibungen in Text und Bild. (Suchworte: Biologie, Medizintechnik etc.)
www.berufenet.arbeitsagentur.de

studienwahl.de

Infoportal der Bundesländer in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit. Hier findest du Informationen über Studienmöglichkeiten in Deutschland.
www.studienwahl.de

Studiensuche der Bundesagentur für Arbeit

Die Studiensuche hilft dir bei der optimalen Auswahl deines Studienorts oder Studienfachs. (Suchwort: Medizintechnik)
www.arbeitsagentur.de/studiensuche

Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin Deutschland

vbio.de

Online-Studienführer „Bachelor/Master in den Biowissenschaften“

www.bachelor-bio.de
www.master-bio.de