Gebärdensprachdolmetschen:
Kommunikation mit dem ganzen Körper
Mit Händen und Füßen sprechen – für Hörende ist das nur eine Redewendung, für Gehörlose dagegen ist das Kommunizieren mit ihren Händen Alltag. Adrian Buchschwenter (22) kennt beide Welten und will die Verständigung zwischen ihnen ermöglichen: Er studiert Gebärdensprachdolmetschen und weiß, dass die Sprache der Gehörlosen tatsächlich nicht nur in den Händen steckt.
Adrian Buchschwenter ist ein CODA, ein „Child of deaf adult“ (Kind von gehörlosen Eltern); er wuchs bilingual mit Lautsprache und Gebärdensprache auf. Was also lag für ihn näher als Gebärdensprachdolmetschen zu studieren? „Dennoch habe ich mich erstmal für BWL eingeschrieben“, erzählt der 22-Jährige aus Freising bei München, „und schnell herausgefunden, dass das überhaupt nicht zu mir passt.“
Mittlerweile steht er im fünften Semester seines Bachelorstudiums im nun passenden Fach an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) in Landshut. Grundkenntnisse der Deutschen Gebärdensprache (DGS) sind Voraussetzung zur Zulassung, weshalb die HAW einen externen 90-stündigen Grundkurs in Gebärdensprache empfiehlt – den auch Adrian Buchschwenter belegte: „Ich konnte die DGS bereits auf einem fortgeschrittenen Niveau, aber man lernt hier bereits seine Kommilitoninnen und Kommilitonen kennen und ich war mir außerdem nicht sicher, ob meine Kenntnisse wirklich für ein Studium reichen.“
Adrian Buchschwenter
Foto: privat
Der Kurs war sehr erkenntnisreich, wie er sagt, denn: „Etwas zu wissen ist nicht dasselbe wie es für selbstverständlich zu erachten.“ Erstmals beschäftigte er sich im Grundkurs tiefer mit der Grammatik der DGS, die sich von jener der Lautsprache unterscheidet. „In der deutschen Lautsprache ist ja die Reihenfolge: Subjekt, Verb, Objekt. In der DGS dagegen: Subjekt, Objekt, Verb. Man gebärdet also, zum Beispiel, nicht ‚Ich esse einen Apfel‘, sondern ‚Ich Apfel essen‘.“
Dass es derartige Unterschiede gibt, wusste er bereits vor Aufnahme des Studiums. Was er aber seit dem ersten Semester dazugelernt hat, kann man kaum während eines Interviews zusammenfassen: „Wir haben sowohl die Laut- als auch die Gebärdensprache auf ihre linguistischen Bestandteile heruntergebrochen.“ Hinzu kam Unterricht in Kulturkompetenz, denn das Wissen um die Unterschiede zwischen der hörenden und der gehörlosen Gemeinschaft sei essentiell für das Dolmetschen in diesem Bereich. Die Studierenden lernen von Mitgliedern beider Gemeinschaften. „Unterricht im Fach DGS, wo es um die eigentliche Gebärdensprachkompetenz geht, erhalten wir jedoch ausschließlich von gehörlosen Dozierenden, also von Muttersprachlern.“
Die ersten drei Semester beschreibt Adrian Buchschwenter als theorielastig, jedoch nehme der Praxisanteil stetig zu. Praktischer Unterricht besteht beispielsweise darin, dass die Lehrenden eine Datei mit einer vorgelesenen Geschichte oder einer Gebärdensprachsequenz abspielen und die Studierenden das Gehörte bzw. Gesehene in die jeweils andere Sprache übertragen. Im Anschluss wertet die Gruppe die so entstandenen Videos oder Audio-Dateien aus. „Unser Semester besteht aus 24 Studierenden, bei solchen Übungen teilen wir uns jedoch in zwei Gruppen auf, damit für das Feedback genug Zeit bleibt.“ Auch Referate werden gebärdet, ebenso die anschließenden Diskussionen.
Die Atmosphäre an der HAW beschreibt der Student als familiär. „Man kann gut Lerngruppen bilden, findet leicht Kontakt zu Dozierenden und die Studierenden verschiedener Semester helfen sich gegenseitig.“ Außerdem gibt es DGS-Zonen, die dazu animieren, sich hier ausschließlich in DGS zu unterhalten. „Auch so sieht man oft Leute auf dem Campus gebärden, dann stellt man sich dazu, macht mit und fühlt sich schnell zugehörig.“ Selbst beim Essen in der Mensa wird gebärdet: „Dann hat man die Gabel in der einen Hand und gebärdet mit der anderen.“
Meist gebärdet man simultan. „Dann sagt man mit der einen Hand etwa: ‚Hier steht ein Baum‘ und mit der anderen kann man sagen, wer unter dem Baum sitzt.“ Hinzu kommen Körperhaltung und Mimik; beides hat eine wesentliche Bedeutung für die Sprache und Semantik. „Man kann einen Satz etwa durch Heben der Augenbrauen zu einer Frage machen.“
Während des Studiums gibt es drei Praktika, wobei das sechste Semester ein reines Praxissemester ist, in dem man eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher begleitet. „Fertig ist man jedoch nie. Man lernt in der Arbeitswelt weiter, das ganze Leben lang. Sprache verändert sich, da bildet die DGS keine Ausnahme.“
Wohin es ihn nach dem Studium zieht? „Gute Frage. Überall wo kommuniziert wird, sind Gebärdensprachdolmetscher gefragt.“ Er kann sich vorstellen, im schulischen Bereich zu arbeiten, vielleicht in der Inklusion, als Dolmetscher im akademischen Bereich oder in der Medizin.
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