Foto: Pressestelle LMU Klinikum
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Interview erklärt er, wie psychische Störungen wie Depressionen, Burnout, Spiel- oder Magersucht entstehen, wie sie sich äußern und welche Möglichkeiten es gibt, diese zu behandeln.
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne: Ein wichtiger Faktor ist häufig in der Umwelt zu suchen – bei Jugendlichen also etwa in der Schule, im Kreis von Gleichaltrigen und in der Familie. Häufig spielen beim Entstehen solcher Erkrankungen Lebensereignisse eine Rolle, die mit besonderem Stress verbunden sind und als traumatisch erlebt werden – etwa der plötzliche Verlust eines nahen Angehörigen, Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen. Dazu kommt, dass die meisten betroffenen Jugendlichen eine entsprechende biologische Veranlagung mitbringen. Das heißt, irgendjemand in der Familie leidet ebenso unter einer psychischen Erkrankung.
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne: Wenn Jugendliche unter einer Depression leiden, bemerken sie häufig eine Antriebslosigkeit. Sie haben weniger Lust aufzustehen und Dinge zu machen, die sie früher gerne gemacht haben. Manche können sich in der Schule nicht mehr gut konzentrieren, sodass ihre Leistungen nachlassen. Die Jugendlichen beschreiben zudem, dass sie häufig störende Gedanken haben, die immer wiederkehren. Sie fühlen sich zum Beispiel schuldig daran, wenn es ihrer Mutter nicht gut geht oder eine Freundin eine schlechte Note bekommt. Und wenn sie selbst Probleme haben, sind sie sich sicher, dass sie auch in Zukunft keine Lösung dafür finden werden. Dadurch können die Jugendlichen nicht mehr auf ihre Ressourcen zugreifen. Wer vorher gut Aufgaben lösen konnte oder sportlich war, merkt, dass das plötzlich nicht mehr geht. Die Menschen in der Umgebung bemerken das ebenfalls und sprechen die Jugendlichen darauf an – und dadurch fühlen sie sich noch schlechter.
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne: Ich persönlich halte es nicht für sinnvoll, die Erschöpfungsdepression oder das Burnout von der Depression abzugrenzen. Jugendliche, die sehr viel lernen und nur darüber eine Bestätigung finden, leiden unter einer Depression. Die Spielsucht beobachten wir bei Jugendlichen erst seit zwanzig und verstärkt seit zehn Jahren. Der Konsum von Online-Spielen und sozialen Medien nimmt hier eine immer größere Rolle ein. Die Jugendlichen ersetzen ihr gewohntes psychosoziales Umfeld durch die Online-Umwelt, bis sie ihren Alltag irgendwann nicht mehr bewältigen können. Wenn man ihnen die Medien entzieht, zeigen viele depressive Symptome. Bei der Magersucht schließlich sind die Gedanken geprägt von der Angst davor zuzunehmen. Die Betroffenen sind mit ihrer Körperfigur nicht einverstanden und glauben, dass ihre Eltern und Freunde sie lieber mögen, wenn sie dünner sind. Viele erleben tatsächlich eine Bestätigung, wenn sie abnehmen. Sie treiben dann immer mehr Sport, wiegen sich sehr häufig und entwickeln Glücksgefühle, wenn sie immer weiter abnehmen. Irgendwann verlieren sie so viel Gewicht, dass das Herz, das Gehirn und andere Organe des Körpers ihre Funktionalität verlieren – ohne dass die Betroffenen oder ihre Eltern das bemerken.
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne: Je eher man mit der professionellen Behandlung von psychischen Störungen beginnt, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Erkrankung sich nicht verschlimmert oder gar chronifiziert. Wenn Jugendliche bemerken, dass es ihnen nicht gut geht, sollten sie das also auf keinen Fall aushalten, sondern darüber sprechen – mit Freunden, ihren Eltern, mit den Schulsozialarbeitern oder den Schulpsychologen. Junge Menschen können sich auch an Erziehungsberatungsstellen in ihrer Stadt wenden oder an Fachärzte wie Kinder- und Jugendpsychiater oder -psychotherapeuten. Darüber hinaus gibt es Nottelefone wie die „Nummer gegen Kummer“, an die sich Jugendliche wenden können. Leider warten sie, aber auch ihre Eltern, häufig viel zu lange, bis sie das tun.
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne: Die Psychotherapie und die psychosoziale Unterstützung sind bei der Behandlung von Jugendlichen Standard. Aber auch von einer Psychopharmaka-Therapie, also der Einnahme von Medikamenten, können Jugendliche profitieren.
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne: Viele der Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, werden von ihren Psychotherapeuten auf solche schwierigen Situationen vorbereitet. Sie finden gemeinsam mit ihnen heraus, was für sie Stressoren sind, und geben ihnen Tipps an die Hand, wie sie mit dem Stress umgehen können. Darüber hinaus können Jugendliche mit einer psychischen Erkrankung Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen. Die genauen Regelungen dazu findet man im Schulgesetz des jeweiligen Bundeslandes, darüber informieren auch die Beratungslehrkräfte und Stufenkoordinatoren.
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Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Stand: 10.01.2023
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