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Interview: „Rechtsfragen kann man nicht wie ein Sudoku lösen“

Unter anderem für ihren Einsatz zur Verbesserung der juristischen Ausbildung erhielt Barbara Dauner-Lieb 2021 das Bundesverdienstkreuz. Im Gespräch mit abi» spricht die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen und Juraprofessorin der Universität zu Köln darüber, was das Jurastudium von heute ausmacht – und warum Fremdsprachenkenntnisse oft unterschätzt werden.

Aufnahme einer Justitia-Statue vor blauem Himmel.

abi» Frau Dauner-Lieb, finden die Themen Technisierung und Digitalisierung Eingang ins Studium?

Barbara Dauner-Lieb: Inhaltlich stehen wir ganz gut dar: Es gibt tolle Spezialisten unter den Dozenten, die sich für den Bereich begeistern und in ihrer Lehre etwas dazu anbieten. Allerdings sind manche Bereiche, beispielsweise der Datenschutz, zu speziell und methodisch uninteressant für das Universitätsstudium. Themen wie Verträge oder Allgemeine Geschäftsbedingungen im Internet werden natürlich behandelt. Mit Blick auf die Technisierung und Digitalisierung unserer juristischen Arbeit sehe ich Nachholbedarf bei der Kompetenzvermittlung, zum Beispiel in den Bereichen Onlinerecherche und kritischer Umgang mit Internetquellen. Wie man eine E-Akte benutzt oder eine Baumstruktur hinbekommt, lernen Studierende am besten in den Praxisphasen.

abi» Wie sieht es beim Stichwort Globalisierung aus?

Barbara Dauner-Lieb: Wir haben ein überwiegend nationales Recht, das stark bestimmt wird von europäischen Einflüssen mit der Folge, dass wir sozusagen in europäischem Recht leben, ohne es zu merken, weil es in deutsches Recht „transformiert“ ist. Rechtsfragen der Globalisierung spielen im Verlauf des Studiums natürlich eine Rolle. Was jedoch unterschätzt wird, sind Sprachkenntnisse: Viele Absolventen werden in globalisierte Kanzleien gehen. Da sind interkulturelle Kompetenz, sehr gute Englischfähigkeiten und am besten noch Kenntnisse in einer weiteren Fremdsprache das A und O.

abi» An Fachhochschulen und Unis findet man vermehrt rechtswissenschaftliche Bachelor- und Masterstudiengänge. Gibt es Bestrebungen, auch fürs Jurastudium einen Bachelor einzuführen?

Barbara Dauner-Lieb: Es wird heiß diskutiert, ob Studierende zusätzlich zum Ersten Staatsexamen auch noch einen Bachelorabschluss erwerben können sollen. Ich denke, es wäre eine gute Ergänzung, insbesondere für diejenigen, die keinen Weg in die juristisch reglementierten Berufe anstreben: Eine akademische juristische Ausbildung ist eine tolle Grundlage für viele Tätigkeiten jenseits der klassischen juristischen Tätigkeiten.

abi» Was wünschen Sie sich fürs Jurastudium der Zukunft?

Barbara Dauner-Lieb: Der deutsche Volljurist ist eine Marke. Wir bilden scharfsinnige, sehr analyse- und leistungsfähige Menschen heran, die rechtstechnisch kaum besser sein können. Ich glaube aber, dass wir zu wenig Kontext vermitteln. Das Recht steht nicht frei. Es hat eine Aufgabe, es löst Konflikte in der Gesellschaft, es schafft Frieden. Deswegen muss man stets die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge im Blick haben, wenn man an juristische Probleme rangeht. Die kann man nicht lösen wie ein Sudoku. Da sehe ich auch uns Lehrer in der Pflicht: Dass wir juristische Themen, die die Gesellschaft beschäftigen – von Gendergerechtigkeit über Kindesmissbrauch bis zum Krieg in der Ukraine – ins Studium holen.

Über Barbara Dauner-Lieb

Porträt von Barbara Dauner-Lieb Porträt von Barbara Dauner-Lieb

Prof. Dr. Dr. h.c. Barbara Dauner-Lieb

Barbara Dauner-Lieb ist Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen und Juraprofessorin an der Universität zu Köln.