Rubrik:
orientieren
07.10.2023
Die Chance
Am nächsten Morgen ging es zu den Pferden, endlich. Vielleicht wird ja jetzt alles besser. Hier habe ich auch eine der wenigen Personen kennengelernt, die mir während meiner kurzen Zeit ans Herz gewachsen sind. Misten auf den Paddocks der Ponys, sie füttern und anschließend Pferde umstellen. So würde mein Tagesablauf für die nächsten Tage lauten. Ab und zu durfte ich dann auch aufs Pferd, was mir wirklich sehr viel Spaß gemacht hat. Eine sehr willkommene Abwechslung zur Arbeit zwischen Mistgabeln und Pferdeäpfeln.
Außerhalb des Verlorenseins gab es aber in meiner Freizeit noch ein Problem: Einsamkeit. Nachdem meine Familie abgereist war, gab es außer ein bis zwei Menschen kaum jemanden, der sich außerhalb meiner Arbeit mit mir unterhalten hat. So konnte ich wenigstens meine beinahe komplette Freizeit damit verbringen, mit meiner Familie zu telefonieren, die mir mittlerweile echt fehlte.
Die nächsten Tage hatten ähnlichen Ablauf, ab und zu bekam ich auch ein Lob ausgesprochen, ob von meiner Chefin oder den Kindern der Gäste, in deren Augen ich eine halbe Tierflüsterin war. Obwohl ich mir da nicht so sicher bin, ich habe einfach die Pferde an den richtigen Stellen gekratzt. Das wirkt vor allem im Sommer nach dem Putzen Wunder.
Nach dem Gespräch am ersten Tag gab ich meiner Einsatzstelle noch mal eine Chance: eine Woche. Eine Woche Zeit, mich zu überzeugen, auf dem Hof zu bleiben und mein FÖJ weiterzuführen. Denn ehrlich gesagt habe ich nur noch unwohl gefühlt.
Zeitsprung zum Ende der Woche. Obwohl der Hufschmied und der Tierarzt da waren, um Abwechslung in den Alltag zu bringen, ging es mir nicht wirklich besser. Und da habe ich gemerkt: Wenn man jeden Tag weint, weil man seine Familie vermisst, und die Tage zählt, bis die Familie wieder zu Besuch kommt, dann kann das auf keinen Fall der richtige Platz für mich sein. Auch wenn viele wohl sagen würden, nach einer Woche wäre es viel zu voreilig – habe ich meine Stelle gekündigt.