Rubrik:
studium
13.05.2019
Autor:
Luisa
Rubrik:
studium
13.05.2019
Während ich in der Zivilstation das Gefühl hatte, mich teilweise mit eher unwichtigen beziehungsweise wenig existenziellen Fragen zu beschäftigen, ist es im Strafverfahren ganz anders. Natürlich kann es auch im Zivilrecht an die Substanz gehen, wenn es beispielsweise um die Kündigung einer Wohnung geht oder um eine Schadensersatzzahlung, die zu einer Insolvenz führen kann. Aber es kann auch um nur um einen Ast gehen, der vom nachbarschaftlichen Grundstück zu weit über einen Zaun ragt. Im Strafrecht geht es hingegen in den meisten Fällen ums Eingemachte: Geldstrafe, Führerscheinentzug, Haft. Es dreht sich um Menschen, die irgendwann auf ihrem Lebensweg falsch abgebogen sind oder einfach viel Pech hatten.
Um mich auf die Sitzungen vorzubereiten, in denen ich als Referendarin die Staatsanwaltschaft vertrete, habe ich mich in ein paar Verhandlungen gesetzt. Hier erlebt man die unterschiedlichsten Schicksale und die unterschiedlichsten Charaktere: Diebe, denen das ganze Verfahren überhaupt nichts auszumachen scheint. Verschüchterte Jugendliche, die zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Obdachlose, die sich über Polizeigewalt beschweren. Teilweise nehmen die Richter auch Anteil und wollen helfen; aber die Instrumente des Strafrechts sind begrenzt. Im Einzelfall mag eine Haftstrafe mal „helfen“, aber viel wichtiger wären in vielen Fällen Jobs, soziale Kontakte oder die Einweisung in eine Psychiatrie.
Inzwischen musste ich bereits mein erstes Verfahren leiten. Als Staatsanwältin habe ich hauptsächlich die Aufgabe, den Anklagesatz zu verlesen und dann das Plädoyer mit der beantragten Strafe zu halten. Und so saß ich vor meinen Akten und musste mir überlegen, was ich beantrage. Neun Monate Haft auf Bewährung? Oder besser zehn Monate? – Für mich ist das nur eine Zahl, aber für den Angeklagten sind das 30 Tage, die er länger in einer Gefängniszelle verbringt. Wenn ich den Entzug der Fahrerlaubnis beantrage, bedeutet dies, dass der Angeklagte für einen bestimmten Zeitraum unter Umständen extrem eingeschränkt ist, beispielsweise auf dem Weg zur Arbeit. Ganz schön wichtige Entscheidungen. Doch es fühlt sich gut an, denn man hat das Gefühl, zum Funktionieren der Gesellschaft beizutragen.
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