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Warum ich ihren Spitznamen hasse

Foto von Bloggerin Thea

Autor:
Thea

Rubrik:
orientieren

23.06.2023

Es ist Sommer. Und damit beginnt langsam, aber sicher wieder die Reisesaison. Klassenfahrten stehen an, die ersten Zeltlager haben stattgefunden und auch die Anmeldungen für verschiedenste Ferienfreizeiten sind bereits unterschrieben und abgeschickt. So ist es jedenfalls bei meiner kleinen Schwester. Sie verreist wahnsinnig gerne und liebt es unter Menschen zu sein, weshalb meine Eltern ihr neben den schulischen Ausflügen dieses Jahr zwei weitere kleine Reisen ermöglichen wollten. Eine im Frühling und eine im Sommer. Gut verteilt, sollte man meinen, ist es aber nicht. Denn wie es der Zufall wollte, endete ihr Klassenfahrt genau vor Beginn ihrer nächsten Reise. Und zwar so knapp, dass meine Schwester genau 30 Minuten zu Hause verbrachte, bis es weiter ins nächste Abenteuer ging. Für meine Schwester war dieser enge Zeitplan neu, für meine Eltern jedoch nicht.

Denn so oder so ähnlich sahen meine gesamten letzten drei Jahre aus. Ein Termin jagte den nächsten, und bevor ich 18 wurde, war ich, aufgrund der inexistenten ÖPNV-Anbindung in meinem Dorf, recht fest an meine Eltern gebunden. Nun, da ich ausgezogen bin, scheint es mir meine kleine Schwester gleich zu tun. So begannen meine Eltern irgendwann scherzhaft, meine Schwester „Klein Thea“ zu nennen. Ist ja erst mal nichts dabei. Zumindest, wenn die Assoziation, die damit einhergeht, eine positive wäre. Und je nachdem, wen man fragt, mag dies auch der Fall sein. „Klein Thea“, das könnte in diesem Kontext neugierig, energiereich oder abenteuerlustig heißen. Keine abwegigen Konnexionen, wenn man an einen vollen Terminkalender denkt. Und so mag ich in den letzten Jahren vielleicht in der Tat auf andere gewirkt haben.

Aber wie so oft im Leben ist nicht alles Gold, was glänzt. In der Hochzeit meines ehrenamtlichen Engagements habe ich die andere Seite kennengelernt. Während mich die vielen Termine und Veranstaltungen auf der einen Seite total glücklich stimmten und erfüllt haben, habe ich zu mindestens gleichen Teilen auch schlechte Erfahrungen mit einem ständig randvollen Terminkalender gemacht. Wenn auch erfüllt, war es irgendwann einfach zu viel und dermaßen anstrengend, ständig von A nach B zu düsen und teilweise nur wenige Minuten zwischen zwei Terminen zu haben. Aber nicht nur die physische Belastung ist etwas, was mir bei dem Namen „Klein Thea“ direkt wieder in Erinnerung kam, sondern vor allem die Kommentare meiner Freund*innen. Kommentare, die erst stachen und beim zweiten Überlegen ganz allein in Sorge um mich begründet waren. Und auch wenn ich unfassbar dankbar für ein so aufmerksames soziales Netzwerk sein kann, verfiel ich jedes Mal in eine Art Abwehrhaltung. Ich wollte die gut gemeinten Hinweise gar nicht hören und stritt vieles ab, obwohl meine Augenringe und das Stresslevel natürlich Bände sprachen. Und genau dieses unangenehme Gefühl kam wieder hoch, als ich meinen Namen im Zusammenhang mit solch einem „Freizeitstress“ hörte. Denn vielleicht war ich tatsächlich anfangs neugierig, energetisch und abenteuerlustig, aber irgendwann auch ziemlich schnell gestresst, dauernd abgehetzt und vor allem nie da.

Nie da, obwohl ich gefühlt überall gleichzeitig war. Denn wenn ich bei der Gruppenstunde der Pfadfinder*innen war, fehlte ich im Jugendcafé. Und wenn ich meinem zweiten Nebenjob nachging, konnte ich nicht zur Theaterprobe. Diese kollidierte aber nicht nur mit meinem Nebenjob, sondern meistens auch noch mit den Aktionen der youngcaritas, bei der ich mich zudem engagierte. Mittwochs ging es nach dem Badmintontraining direkt zum Jugendorchester, wo ich routiniert entweder zu spät oder verschwitzt, aber meistens beides, ankam. Und wenn dann noch Zeit war, habe ich ja eigentlich auch noch gebabysittet, in der Bäckerei ausgeholfen und am Wochenende in der Kirche bei der Messe gedient. Das alles neben der Oberstufe wohlgemerkt, welche glücklicherweise nicht darunter litt.

Welcher Spagat mir allerdings nicht so gut gelang, war der zwischen meinen Freund*innen und den zahlreichen Ehrenämtern. Da ich in der Woche aber leider gut und gerne zehn Terminen hatte, blieb da natürlich wenig Zeit, meine Freundschaften zu pflegen. Das zu merken, tat richtig weh. Vor allem, da sich auf der anderen Seite stets gut um mich gekümmert und teilweise sogar gesorgt wurde. Glücklicherweise gelingt es mir inzwischen immer besser, meine Freizeit gut zu strukturieren, Zeit für mich, aber besonders für meine Freund*innen einzuplanen. Und auch wenn der Spitzname „Klein Thea“ natürlich eigentlich auf etwas anderes hinauswollte, rüttelte er bei mir direkt diese Gefühle wach. Daher werde ich viel dafür geben, meine kleine Schwester vor den schmerzlichen Erfahrungen zu bewahren, welche ein voller Terminkalender neben all der Freude, die er mir brachte, ebenso bereithielt.