Rubrik:
orientieren
13.10.2020
Autor:
Lina
Rubrik:
orientieren
13.10.2020
„Ich sehe was, was du nicht siehst; und das ist gelb.“
„Mein Armband?“ – „Nein.“
„Deine Schnürsenkel?“ – „Nein.“
„Die Sonnenstrahlen?“ – „Ja!“
Ich sehe was, was du nicht siehst; und das ist rot.
Doch ist es das wirklich?
Ich werde nie genau sehen können, was du siehst; nie nachempfinden können, wie deine Sehzellen das einfallende Licht in ein Signal verarbeiten, das deinem Gehirn mitteilt, etwas sei „rot“.
An einem Punkt in deinem Leben, als Kleinkind bereits, nehmen deine Augen eine Farbe wahr, und deine Mutter erklärt dir, dass das, was da so schön leuchtet, Rot heißt.
Doch was ist Rot? Ich weiß nicht, was du siehst, und du weißt ebenso wenig, was ich sehe – wir einigen uns nur darauf, dass wir beide etwas wahrnehmen, dass wir das Wahrgenommene wiedererkennen können, und wir taufen dieses Etwas „Rot“.
Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist blau.
Ich sehe das Leid der Welt.
Ich sehe die Hoffnungslosigkeit und die Verzweiflung.
Ich sehe die Unausweichlichkeit, zu helfen.
Und vor allem sehe ich unsere Pflicht, mit allem, was wir haben, mit allem, was wir geben können, mit vollem Herzen und ganzer Kraft daran zu glauben, dass unsere Welt noch nicht verloren ist; denn wenn wir die Hoffnung aufgeben, dann haben wir – zumindest unsere Menschlichkeit – schon verloren.
Ich sehe was, was du nicht siehst.
Aber vielleicht siehst du das jetzt ja auch?
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