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Ausbildung live: Leben im Griff - Definitionssache

Ein Porträt-Foto von Maria

Autor:
Maria

Rubrik:
ausbildung

01.03.2022

Ich weiß nicht, wie es dazu kommt, aber manchmal bekomme ich folgenden Satz zu hören: „Du hast dein Leben voll im Griff“. Idealerweise folgt auf diese Aussage ein Lacher meinerseits, da ich nicht nachvollziehen kann, auf welcher Grundlage dieser Kommentar basiert. Aber es kommt natürlich auch darauf an, wie einer diese Aussage definiert. Bedeutet das, dass man es schafft, Arbeit und Freizeit problemlos unter einen Hut zu bringen? Oder, dass man sich durch seine Pflichten des Alltags bringt, ohne regelmäßig mit einem Nervenzusammenbruch auf dem Küchenboden zu enden?

Ganz egal, wie man es definiert, ich bin mir ziemlich sicher, dass das bei keinem Menschen ein Dauerzustand sein kann. Zwischendurch hatte ich tatsächlich eine Phase, wo ich mir dachte „Wow, ich hab‘ es geschafft, Ordnung in meinen Alltag zu bringen!“ Ich war fast jeden Tag im Fitnessstudio, habe öfter gekocht als sonst, so gut wie jeden Tag auf Duolingo Koreanisch gelernt (eine Sache, die ich mir schon seit Jahren vornehme) und hatte zudem noch Zeit, um zwischendurch mal Serien oder Variety Shows zu schauen oder Freunde zu sehen. Der einzige Haken an der Sache: In diesen drei Wochen voller Zufriedenheit mit meiner Produktivität hatte ich Urlaub, weshalb das Ganze nur zur Hälfte valide ist.

Nach meinem Urlaub stand erst ein Theorieblock an und da dieser nicht so anstrengend ist, wie mein Praxisblock, bin ich davon ausgegangen, dass das alles schon funktionieren wird. Nur hatte ich diese Rechnung leider ohne Corona gemacht. Dass die erste Woche online stattfinden würde, war ohnehin klar, da das an unserer Berufsschule eine allgemeine Sicherheitsmaßnahme ist. Aber als ich dann die Nachricht erhielt, dass der gesamte vierwöchige Block online stattfinden würde, machte sich eine riesige Wolke Enttäuschung in mir breit.

Natürlich war es in der Situation nachzuvollziehen, trotzdem war ich traurig, die Menschen aus meiner Klasse nicht sehen zu können, da ich ohnehin eine Person bin, die soziale Kontakte braucht, um im Alltag zu funktionieren. Auf der anderen Seite habe ich aber versucht auch das positive an der Situation zu sehen: Dadurch, dass ich mir morgens und nachmittags jeweils eine halbe Stunde Autofahrt spare, kann ich zum einen länger schlafen und habe zum anderen nach der Schule auch etwas mehr Zeit um etwa meine neuen Angewohnheiten beizubehalten.

Dies funktionierte zu Beginn auch recht gut, hielt jedoch nicht lange an. Was ich dabei nämlich nicht beachtete: die mentale Belastung, die mir jede Form von Isolation liefert. Zum einen fällt es mir extrem schwer, mich im Onlineunterricht zu konzentrieren und zum anderen wird auch meine Stimmung am Rest des Tages von Zeit zu Zeit immer schlechter, da ich mich einfach wie ausgesaugt fühle. Auch wenn meine Praxisphasen mir körperlich extrem viel abverlangen und viel länger dauern, als die Theorieblöcke, habe ich mich bis jetzt nie so traurig und ausgelaugt gefühlt, wie in diesen paar Wochen. Ja, ich habe in der Zeit einiges geschafft und war auch produktiv, doch würde ich sagen, dass ich „mein Leben im Griff hatte“? Nein, das würde ich ganze sicher nicht.

Aktuell bin ich wieder am arbeiten und auch wenn ich nach elf Tagen am Stück extrem müde bin und meine Freizeit gerade daraus besteht, Musikvideos zu schauen, die ich bereits 100 mal gesehen habe, fühl ich mich trotzdem erfüllter als zuvor. Am Ende geht es nämlich nicht darum, nach außen zu tragen, wie produktiv und beschäftigt man doch ist. Sondern darum, dass man seine Pflichten schafft und sich seine Zeit für sich selbst nimmt, ohne nebenbei das Gefühl zu haben im Treibsand zu versinken. Es muss nicht für Außenstehende so aussehen, als hätte man „sein Leben im Griff“. Es reicht, wenn man sich in seinem Alltag gut fühlt, denn wir leben für uns und nicht für das Auge anderer.

PS: Manchmal will man es nicht glauben: Aber ebenso wie die Hochphasen des Lebens, sind die Tiefphasen auch kein Dauerzustand. Cheer Up!