Rubrik:
studium
11.04.2019
Autor:
Conny
Rubrik:
studium
11.04.2019
An den Münchner Kammerspielen steht ein Stück namens „Dionysos Stadt“ auf dem Spielplan. Es orientiert sich an den griechischen Dionysien, den antiken Festspielen zu Ehren des Gottes Dionysos, und dauert mit Pausen ganze zehn Stunden. Auf moderne Weise werden darin die großen griechischen Tragödien behandelt.
Mit meiner Freundin ging ich an einem Samstag um 13 Uhr in das Stück. Auch wenn wir uns erst wieder gegen 23 Uhr auf den Heimweg machen würden, hatte ich nicht das Gefühl, eine große Anstrengung vor mir zu haben. Ich konnte mich eigentlich ganz gut auf diesen Zeitrahmen einstellen, auch wenn er sich völlig abseits von meinem alltäglichen Zeitrhythmus bewegt. Der Saal war voll, bevor es losging, gab es eine Einführung durch den Hauptdarsteller Nils Kahnwald. Einem Rentner in der ersten Reihe versprach er fünfzig Euro, wenn er bis zum Ende bleiben würde. Den Schein pinnte Kahnwald gut sichtbar an den Bühnenrand. Die Einführung ging dann fließend über ins Spiel. Im ersten Teil ging es um Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte und dadurch den Zorn und die Strafe des Zeus auf sich zog. Nach zwei Stunden gab es die erste halbstündige Pause. Dehn- und Gymnastikübungen fanden in den Gängen statt. Teil zwei behandelte in einem bildgewaltigen Bühnenbild und mit fulminanter Live-Musik die Schlacht von Troja. Gegen 18 Uhr war dann die große Halbzeitpause, in der wir uns ein Stück Pizza am Marienplatz holten.
Der dritte Teil „Die Orestie“ war komplett improvisiert und im Stil einer Telenovela à la „Sturm der Liebe“ inszeniert. Es war ein makabrer Mix aus witziger Unterhaltung und brachialer Gewalt. In der folgenden Pause wurden die Gymnastikübungen ausgedehnter, ebenso wie die Euphorie über das Spektakel, das dargeboten wurde.
Im vierten und letzten Teil spielten die Bühnendarsteller auf einem Kunstrasen eine halbe Ewigkeit Fußball. Dazu wurde ein Essay vorgetragen über den legendären Kopfstoß von Zinédine Zidane im WM-Finale 2006. Nach all den niederträchtigen Wirbelstürmen auf der Bühne stellte sich schließlich ein Gefühl menschlicher Demut ein. Es ging am Ende nicht darum, die griechische Mythologie intellektuell zu verstehen und deuten zu können, sondern es war ein zutiefst menschliches Stück, das auch aufgrund der Länge die Kraft hatte, im Publikum eine Gemeinschaft entstehen zu lassen. Ich war auf merkwürdige Weise erschöpft und doch hellwach und wahnsinnig beseelt von der Erfahrung der letzten Stunden. Die versprochenen 50 Euro wurden dem Rentner tatsächlich ausgehändigt. Aber das Geld war am Ende mehr als nebensächlich.
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