Rubrik:
studium
08.05.2024
Autor:
Melissa
Rubrik:
studium
08.05.2024
Lange bin ich davon ausgegangen, dass ich genau weiß, was Freundschaft eigentlich bedeutet. Das Bild, das die Gesellschaft und Social Media von Freundschaft zeichnet, ist geprägt von vielen Idealen, von denen ich gedacht habe, dass sie eine gute Freundschaft ausmachen. Ideale wie Vertrautheit, viele spannende Unternehmungen, eine stets gute Bindung, dass man sich immer alles erzählt. Ich habe geglaubt, dass jede meiner Freundschaften unfassbar tiefgreifend und harmonisch sein sollte und gleichzeitig ein Leben lang hält, dass meine Freund*innen am besten zu jedem Zeitpunkt im Leben perfekt zu mir passen sollten. Dass dieses Wunschdenken im Endeffekt nie erfüllt werden kann, war mir eigentlich klar. Trotzdem habe ich meine Freundschaften an diesem Ideal gemessen und versucht, sie in dieses „perfekte“ Muster zu zwängen, von dem ich gedacht habe, dass es gut und normal ist, was manchmal sehr frustrierend war.
Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass nicht meine Freundschaften an sich, sondern vielmehr mein unrealistisches Bild davon das eigentliche Problem sind. Bis ich verstanden habe, wie viel Unrecht ich den Menschen getan habe, die mir so wichtig sind, indem ich versucht habe, unsere Freundschaft an einem gesellschaftlichen Idealbild zu messen, was ich nicht einmal selbst als Freundin erfüllen kann. Mittlerweile verstehe ich, dass nicht jede Freundschaft alle „Kriterien“ erfüllen muss, dass die einzelnen Freundschaften, genau wie meine Freund*innen auch, unterschiedlich sein dürfen. Da ist die eine Freundin, die ich nur selten sehe, mit der ich aber stundenlang über die Welt philosophieren kann. Da ist die Freundesgruppe aus meiner Heimat, mit der ich ausgelassene, lustige Abende verbringen kann und stundenlang singe und tanze. Da sind die Freund*innen in meiner Studienstadt, die mit mir in der Vorlesung sitzen, mit denen ich mich über meinen Alltag austausche und die kleinen Momente hier genieße.
Ich bin, ohne es zu merken, von so vielen Menschen umgeben, die mich an ihrem Leben teilhaben lassen, die mir ihre Zeit und ihr Interesse schenken. Menschen, die mir auf ihre Art und Weise zeigen, dass ich ihnen wichtig bin. Und das habe ich in meinem Alltag oft übersehen. In vielen Momenten war ich blind für das, was ich hatte und habe immer nur das gesehen, was mir vermeintlich fehlt. Dabei habe ich vergessen, dass es in einer Freundschaft nicht darum geht, dass immer alles wie im Bilderbuch ist, sondern vielmehr um die gemeinsame Zeit, das Füreinander-da-sein, die gemeinsame Freude.
Mittlerweile weiß ich, dass es normal ist, dass all meine Freundschaften so verschieden sind. Dass das Bild auf Social Media oft nicht der Realität entspricht. Ich weiß, dass es okay ist, dass ich manche Menschen oft, andere nur selten sehe, dass einige Freundschaften eng und andere eher distanzierter sind, dass ich mit einigen Freund*innen lieber feiern gehe, während ich mit anderen stundenlang am Lagerfeuer sitzen kann. Ich weiß, dass es normal ist, dass sich Freundschaften verändern, dass man in der einen Lebensphase sehr viel Zeit geteilt hat und in der nächsten vielleicht kaum noch Kontakt hat. Freundschaften verlaufen nun mal nicht linear, die Bindung zueinander verändert sich stetig, wie wir Menschen auch. Das kann manchmal schmerzhaft sein, birgt aber auch eine Menge Freude.
Und gerade deshalb kann ich jetzt wertschätzen, dass all meine Freundschaften so unterschiedlich sind. Ich mache mir weniger Druck, die perfekte Freundschaft zu finden, denn die gibt es vermutlich überhaupt nicht. Gleichzeitig weiß ich, was für ein besonderes Geschenk es ist, dass sich diese Menschen entschieden haben, dass ich Teil ihres Lebens sein darf. Das erfüllt mich jedes Mal, wenn ich daran denke, mit Freude. Ich bin dankbar für die Momente, die wir teilen, die verschiedenen Erfahrungen, für die Hochs und Tiefs. Dankbar, dass ich so viele tolle Menschen habe, die mein Leben begleiten und das, egal, ob wir in ein Ideal passen oder nicht.
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