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Abschiedstränen

Porträt von Anna

Autor:
Anna

Rubrik:
orientieren

01.08.2024

Ich hasse Abschiede. Ich hasse die letzte Umarmung, den letzten Blick, das letzte Winken und das letzte „Tschüss“. Ich hasse das künstliche In-die-Länge-Ziehen von Abschieden, aber ich hasse es auch, wenn der Abschied zu beiläufig ist. Am liebsten ist mir ein ganz normales „Auf Wiedersehen“, bei dem man nicht weiß, dass es eigentlich kein Wiedersehen gibt oder jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.

Dementsprechend kann man sich vorstellen, wie wenig ich mich nach neun Monaten bei meiner Gastfamilie in Irland auf meinen Heimflug gefreut habe. Natürlich war ich aufgeregt und habe mich darauf gefreut, meine Familie und meine Freund*innen wiederzusehen. Ich war während meiner neun Monate im Ausland kein einziges Mal daheim, auch nicht für Geburtstage, Weihnachten oder Ostern. Auch wenn ich kein Heimweh hatte, war es rückblickend gesehen doch eine sehr lange Zeit, die ich im Ausland verbracht habe. Doch trotz dieser Freude auf Daheim, wollte ich eigentlich auch meine Gastfamilie nicht verlassen. Sie haben mir ein zweites Zuhause, eine zweite Familie gegeben – und abgesehen davon hatte ich einen irischen Freund*innenkreis und meine Fußballmannschaft, mit der ich mich relativ oft auch außerhalb des Spielfelds getroffen habe. Ich habe mir ein Leben aufgebaut, das ich jetzt hinter mir lassen musste.

Als ich im September nach Irland geflogen bin, war der Abschied natürlich auch nicht so schön, aber jeder wusste, dass ich in neun Monaten wieder zurück bin. Der Abschied in Irland ist ungewiss. Komme ich zurück, wann komme ich zurück und wer wohnt dann überhaupt noch in Kilkenny, der Stadt, in der ich gelebt habe? Meine irischen Freund*innen hatten alle im Juni ihr Abi geschrieben, nur ein Bruchteil von ihnen möchte daheim bleiben … Und die Gastkinder, mit denen ich vermutlich die engste Beziehung hatte: Das Baby wird sich nicht an mich erinnern können, die Vierjährige vielleicht, aber ich werde nie wieder ihre beste Freundin sein und die beiden anderen (neun und elf Jahre) werden auch total viel wachsen, bis ich sie wiedersehe. Falls ich sie wiedersehe.

Ich habe mir vorgenommen, nächstes Jahr für einen Besuch zu kommen, doch wenn ich vor der Wahl stehe, eine Woche allein nach Irland zu fliegen oder zusammen mit meinen Freund*innen nach Italien, weiß ich nicht, was ich machen würde. Ich würde gerne glauben, dass ich Irland wählen würde oder beides mache. Eigentlich bin ich gezwungen, nach Irland zu fliegen. Ich hatte einem der Gastkinder einen Kleinen-Finger-Schwur gegeben, dass ich nächstes Jahr wiederkomme und die darf man nicht brechen. Doch in die Zukunft blicken kann ich auch nicht. Bis dahin muss ich einfach die letzten Tage mit meiner Gastfamilie genießen und im Herzen behalten. Die Zeit hier war unvergesslich, ich habe so viele Erinnerungen gemacht, die mich für immer begleiten werden, und vielleicht ist es ja auch ein bisschen gut, dass der Abschied weh tut, ein Kompliment an meine Gastfamilie und eine Hommage an meine Zeit hier.