Rubrik:
orientieren
14.02.2023
Autor:
Thea
Rubrik:
orientieren
14.02.2023
Wenn ich meine Freund*innen frage, mit welchen Worten sie mich beschreiben würden, fällt ziemlich häufig das Adjektiv extrovertiert. Klar, ich bin eine gesellige Person, kann gut auf fremde Leute zugehen und habe nichts dagegen, im Rampenlicht zu stehen. Ich bin selbstbewusst, oftmals laut und energetisch.
Und an dieser Stelle wäre der Text vorbei, hätte ich ihn vor Corona verfasst. Hätte ich ihn verfasst, bevor ich Lockdowns erlebte und bevor ich – bevor wir alle unsere Liebsten wochenlang nicht sehen konnten und lange Zeit allein waren. Aber auch das ging vorbei. Nach und nach öffneten wieder die Schulen, man traf sich erst zu zweit, dann in kleinen Gruppen und durfte schließlich wieder zusammen feiern.
Während sich die meisten Leute auf die wieder stattfindenden Partys freuten und immer lockeren Kontaktbeschränkungen entgegenfieberten, merkte ich, dass es bei mir anders war. Natürlich freute ich mich auch über die langsame Wiedereroberung meines sehnlich vermissten Soziallebens, aber irgendwie war mir schnell vieles zu viel. Zu viele Menschen, zu laute Musik und zu lange Treffen. Ich brauchte mehr Zeit für mich. Zeit, um mich von der Gesellschaft anderer Menschen zu erholen. Irgendwie entluden sich meine Akkus im Gegensatz zu den Akkus der 15-jährigen Thea in Gemeinschaft von anderen Menschen, anstatt bei solchen Treffen aufzuladen. Und das war mir neu. Vorher konnte ich bei einem Spieleabend in großer Runde auch noch nach einem stressigen Schultag, Badmintontraining und Querflötenunterricht entspannen und abschalten. Heute merke ich, dass mir selbst die soziale Interaktion im Büro reicht, um mich auf ein zweites Treffen mit anderen Menschen mental vorbereiten zu müssen.
Und trotzdem bin ich die gleiche laute, offene und kommunikative Thea wie vor Corona geblieben. Nur mein Treibstoff, der hat sich verändert. Ich brauche inzwischen Zeit für mich, weiß das Alleinsein nun immer mehr zu schätzen, aber treffe mich dennoch nach wie vor gerne mit meinen Freund*innen. Nur mit dem Unterschied, dass meine soziale Batterie nach geselligen Stunden eher leer ist, als dass sie währenddessen auflädt.
Darauf hat mich vor Kurzem mein Freund aufmerksam gemacht. Ich, die durch die Resonanz von anderen selbst der Überzeugung war, extrovertiert zu sein, stritt das selbstbewusst ab. Ich bin doch nicht schüchtern, ich bin offen und mag es, auf neue Menschen zuzugehen! Aber genau das ist der Punkt: Ob eine Person schüchtern oder selbstbewusst ist, hat erstmal nichts mit extrovertiert sein zu tun. Ob man ex- oder introvertiert ist, hängt damit zusammen, ob man bildlich gesprochen zum Aufladen der eigenen sozialen Batterie die Gesellschaft von anderen Menschen braucht oder man sich nach solchen Treffen erst mal zurückziehen muss, um die eigenen Akkus wieder mit Energie zu füllen.
Und weil ich mich anscheinend sehr mit den Charaktereigenschaften selbstbewusst, energetisch oder offen identifiziere, fühlte ich mich erst mal etwas angegriffen, als man mir zusätzlich das Wort introvertiert zuschrieb. Für mich schloss das eine nämlich das andere aus. Doch mein Freund erklärte mir, dass introvertierte Menschen ebenso gut auf neue Leute zugehen können und der einzige Unterschied darin besteht, ob man Zeit für sich braucht oder die Gesellschaft anderer Menschen, um Kraft und Energie zu tanken. Und genau das ist bei mir der Fall. Ich freue mich auf jedes Treffen mit meinen Freund*innen oder auch unbekannten Menschen. Ich habe es aber gerne, wenn ich mich mental darauf einstellen kann und brauche danach auch wieder meine Zeit, um mich von Stunden in Gesellschaft zu erholen. Anders ist es bei meinem Freund, welcher ebenfalls ein gutes Selbstbewusstsein hat und gerne auf Bühnen steht, aber im Gegensatz zu mir eine leere Batterie bekommt, wenn er alleine spazieren geht oder ab und an im Homeoffice arbeitet. Situationen, die ich inzwischen genieße und als Erholung ansehe. So kann sich das also ändern und das muss nicht gleich schlecht sein.
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