Rubrik:
studium
15.11.2024
Autor:
David
Rubrik:
studium
15.11.2024
Wir waren mitten in den steilen Serpentinen vor dem ersten Gipfel (Veintimilla genannt), als ich hochblickte in das Sternenmeer und so langsam Hoffnung schöpfte, dass wir es womöglich schaffen könnten. Im Nachhinein bekam ich von anderen aus der Hütte mit, dass unten bereits eine Person bewusstlos wurde und eine Gruppe zurückkehren musste. Von allen Gruppen war nur noch die Hälfte auf Gipfelkurs zu dem Zeitpunkt. Schritt für Schritt überstiegen wir die nicht endende (aber zumindest abflachende) Kruste des ersten Gipfels und magischerweise blitzten genau zum Zeitpunkt der Besteigung die ersten Sonnenstrahlen vom Horizont auf uns. Es war Punkt sechs Uhr morgens. Nach acht Stunden völliger Dunkelheit und zunehmender Qual hatten wir es geschafft. In dem Moment kullerten einige Tränen über meine Wangen, weil ich nicht fassen konnte, wo ich nun stand. Tags zuvor noch von unten bestaunt, stand ich nun fast ganz oben und musste nur noch die letzten Meter zum höheren Gipfel überwinden. Wir umarmten uns und folgten der anderen Gruppe zum Hauptgipfel, wo ich zuerst meinen völlig gefrorenen Schokoriegel aß.
Ganz Ecuador lag uns zu Füßen und wir konnten die komplette Berglandschaft der Anden bis zum Übergang ins Amazonasbecken sowie der Küste bestaunen. Unter uns der massive Schatten des Chimborazo, der langsam mit der steigenden Sonne vor sich hin schrumpfte und länger wurde. Die Sonne wärmte uns auf, gleichzeitig nahm der Wind zu. Es war also schnell klar, dass wir die surreale Eislandschaft des Gipfels verlassen und den langen Abstieg antreten mussten. Die Serpentinen sahen von oben noch steiler aus und der Gletscher überragte brachial das dunkle Vulkangestein des erloschenen Chimborazo. Und so zog sich der Abstieg nochmals mehrere Stunden, aber zumindest gab es mit jedem Schritt wieder mehr Luft zum Atmen, und Schritt für Schritt wurde es wärmer. Jorge wählte für den Abstieg eine Route mit Klettersteig, der uns noch mal einiges abverlangte, aber ich wusste, dass mit mentaler Überzeugung nichts mehr zwischen mir und der Berghütte stehen würde. Die meisten Unfälle passieren auf dem Weg nach unten, rief ich mir immer wieder in den Kopf. Denn unten waren wir ohne Steigeisen auf dem Geröll des Vulkans am Schlittern und ich zwang mich, nochmals mit vollem Fokus die letzten Meter zu gehen. Und dann war es geschafft.
Ich drehte mich um, staunte ob der massiven Erscheinung des Berges und ging in die Hütte, wo es nach salziger Suppe und warmem Tee roch. 13 Stunden waren vergangen und ich wusste, dass ich erst mal eine lange Nacht zum Ausschlafen brauchen würde.
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