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Schülerleben live: Die Freiheit, auf dem Tisch zu stehen

Ein Porträt-Foto von Emma

Autor:
Emma

Rubrik:
orientieren

16.12.2020

Die drei Stunden Philosophie jede Woche machen Spaß – zumindest mir. Mir gefällt das Hinterfragen alltäglicher Strukturen und Dinge, die uns ganz normal vorkommen. Nicht immer ist diese Konfrontation angenehm oder einfach, jedoch stets faszinierend und unglaublich inspirierend. Besonders wenn man die philosophischen Ansätze und Ansichten mit interessanten Menschen diskutieren kann. Die wohl interessanteste Philosophiestunde in meinem bisherigen Schulleben hatte ich erst vor wenigen Tagen. Es ging um Sartre und seine Kritik an der menschlichen Bequemlichkeit, die es ihm unmöglich macht aus seinem „Käfig“, der ihm von seiner absoluten Freiheit abhält, auszubrechen, obwohl die Tür sperrangelweit offensteht. Aber das nur am Rande. Verrückt wurde es ab dem Moment, an dem ein Schüler plötzlich aufstand und zuerst auf seinen Stuhl und von dort aus auf seinen Tisch stieg. Mitten im Raum stand er dort auf seinem Tisch und hielt eine Rede. Den genauen Wortlaut habe ich nicht mehr im Kopf, aber er sprach davon, wie seltsam es doch ist, dass wir völlig frei sind, aber es nicht mal wagen, auf einen Tisch zu steigen, obwohl wir doch die Möglichkeit dazu haben. Die Gesellschaft sei das Gefängnis, das uns diese Freiheit nimmt. Doch woher wissen wir, dass die Grenzen, die uns die Gesellschaft gibt, die Richtigen sind? Ich muss gestehen, ich habe gelacht als er dort auf dem Tisch stand. Es war auch zu seltsam, wie er dort seine Rede hielt und sich dabei völlig bewusst war, dass er dort eine kleine gesellschaftliche Grenze überschritten hat. Im Nachhinein weiß ich, dass er Recht hatte. Ja, wir haben wahnsinnige Möglichkeiten und trauen uns nicht, aus gesellschaftlichen Formen auszubrechen. An dieser Stelle einmal großen Respekt an diesen Schüler. Im ersten Moment habe ich ihn belächelt, im zweiten war ich von seiner Aktion begeistert. Es sind wohl gerade diese etwas verrückten und in unseren Augen seltsame Menschen, die uns inspirieren und uns vor Augen führen, dass Normalität nicht existiert. Auf dem Tisch stehen ist nicht normal, zumindest nicht nach unserem Verständnis, aber wenn man bedenkt, wie verrückt diese Welt ist, ist wahrscheinlich nichts "normal". Und das wird mir genau dann bewusst, wenn im Unterricht ein Schüler auf dem Tisch steht und sich damit ein Stück Freiheit zurückholt.