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Studieren im Ausland: Lehrjahre sind keine Herrenjahre

Ein Porträt-Foto von Enne

Autor:
Enne

Rubrik:
orientieren

24.02.2020

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, sagte die Oma meines Freundes beim weihnachtlichen Kaffeetrinken zu mir, nachdem ich ihr davon erzählt hatte, wie viel meine Kommilitoninnen an der Schauspielschule für die bevorstehenden Prüfungen vorzubereiten hatten. In acht verschiedenen Fächern mussten sie Texte, Lieder, Musik- und Schauspieltheorien sowie Choreografien auswendig lernen, Bücher lesen und Tagebücher über den Unterricht schreiben. Dann folgten alle Examen, praktische sowie theoretische, von denen ich als Erasmusstudentin nur einen Teil absolvierte. Ich war mit meinen Aufgaben genügend ausgelastet, natürlich war es wegen der Sprache für mich nochmal etwas anspruchsvoller. Ich hätte mir aber nicht vorstellen können, an allen Prüfungen teilzunehmen. Die Oma erzählte mir daraufhin von ihrer Ausbildung zur Balletttänzerin während des zweiten Weltkriegs. Manchmal, so sagte sie, hätte es kaum oder kein Essen in der Pause gegeben, und wenn, dann oft nur Suppe. Die Lehrerin war sehr streng und scheute auch nicht vor Gewalt zurück. Eines Tages wurde sogar ein Teil ihrer Schule von einer Bombe zerstört und sie mussten in ein anderes Gebäude umziehen. Die Liebe zum Tanz und die zum Glück von da an weitestgehend ausbleibenden Zerstörungen in ihrer Nähe, hat den Schülerinnen trotz allem ermöglicht, die Ausbildung abzuschließen und später als Tänzerinnen zu arbeiten. All diese Umstände machten ihre „Lehrjahre“ zu einer unglaublich extremen Erfahrung, die man mit den heutigen Umständen in Deutschland kaum noch vergleichen kann. Und trotzdem holte mich ihre Erzählung ein wenig auf den Boden der Tatsachen zurück, denn am Ende sind Prüfungen nur Prüfungen und ich bin froh, dass ich heutzutage höchstens um meinen Bachelor oder Master, jedoch nicht um mein Leben fürchten müssen.