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Studieren im Ausland: Man ist, was man isst

Blogger David mit einem Pappschild, auf dem MADRID steht.

Autor:
David

Rubrik:
studium

20.01.2022

Du bist was du isst. Das Sprichwort ist alt und nach heutiger ernährungswissenschaftlicher Einordnung auch sicherlich richtig. Die metaphorische Aussage des Sprichwortes ist auch hinsichtlich der universitären Bildung von meinem Hauptfach hier in Valencia richtig.

Eine Kommilitonin von mir hat es sehr treffend zusammengefasst als sie meinte, dass allein die Fakultätszugehörigkeit eines Fachs fast alles zum Stellenwert dessen innerhalb der Uni sagt. Während in Freiburg die Politikwissenschaften zusammen mit Soziologie an der philosophischen Fakultät sind, sind die beiden Fächer hier getrennt an der sozialwissenschaftlichen und Rechtsfakultät. Das hat im Unialltag nicht nur organisatorischen Charakter, sondern schlägt sich deutlich auf die Art und Weise des Lernens ab. In Freiburg war es auch als Erstsemestriger völlig logisch wöchentlich 150 Seiten politisch theoretische Werke von Marx oder Adorno zu lesen (was keineswegs bedeutet, dass man irgendwas davon verstand). Von Woche zu Woche wurden neue Denkkonzepte eingeführt, die immer wieder das eigene Weltverständnis ins Wanken gebracht haben.

In Valencia ist das komplette Gegenteil der Fall. Die Uni ist durchtränkt von rechtspositivistischen Herangehensweisen. Das heißt, dass bei Problemen nur in Gesetzestexte geschaut wird und dann abgewogen wird, ob etwas legal ist oder eben nicht. Fragen nach der moralischen oder ethischen Legitimität von Dingen existieren nahezu nicht. Auch wenn in Freiburg so keine eindeutigen Antworten gegeben wurden, erlangte man gerade dadurch ein besseres Verständnis der Dinge. Dagegen ist die Taktik der meisten Professor*innen in Valencia, möglichst viel zu zeigen, was später in der Klausur abgefragt werden kann. Während wir in Deutschland zum Beispiel das kommunistische Manifest lasen, um die marxschen Argumentationslinien etwas besser zu verstehen, sind das Pendant hierzu in Valencia zwei Power-Point-Slides mit jeweils vier Unterpunkten. Das ist nicht nur extrem langweilig, sondern formt auch die Studierenden. Im Gespräch mit Kommiliton*innen wird schnell klar: Universität heißt Dinge auswendig lernen und in der Klausur niederschreiben. Kritisches Hinterfragen ist nur da erwünscht, wo die Dozierenden das persönliche Interesse danach haben. Dabei entstehen aber selten Diskussionen, weil die Kompetenz dazu nicht beigebracht wird. Das Resultat daraus ist für mich, dass ich als Drittsemester keinerlei Probleme habe in Kursen des siebten Semesters teilzunehmen. Es zeigt anschaulich das Privileg des deutschen Studiums, das wir einfach so genießen dürfen.

Trotz allem finde ich es bereichernd in Spanien zu studieren, da es mir einen einmaligen Einblick in die Lebensrealität spanischer Studierenden gibt. Auch wenn das System von sich aus sehr träge ist, findet man doch viele Studierende hier, die sich politisch engagieren und ein persönliches Interesse an philosophischen, politischen und sozialen Thematiken mitbringen. Aber es zeigt erneut, wie sehr wir von unserer Umgebung und den uns umgebenden Strukturen geformt werden. Denn auch akademisch ist man das, was man isst.