Rubrik:
studium
08.03.2022
Autor:
Ferdinand
Rubrik:
studium
08.03.2022
„Das Land in blau-gelb“ lautet der Titel eines Blogbeitrags aus dem Jahr 2018, in dem ich euch über eine meiner Reisen in die Ukraine berichtete. „Die Zäune sind blau-gelb, die Schilder an den Bushaltestellen, die Haargummis an den Hinterköpfen der Soldatinnen, die Zugwaggons, die Parkbänke, die Spielplätze, auf denen die Jungen einander jagen, einer mit einem Messer aus Weichplastik, der andere mit einer Spielzeugpistole mit Soundeffekten. Das gelbe Kleid neben dem blauen im Fensterrahmen der Boutique. Eine gelbe Lametta-Girlande, verflochten mit einer blauen, an der Stirnfront des Busses.“
2018, da war bereits vier Jahre lang Krieg in der Ukraine. In meinem Blogeintrag von damals steht etwas von 10.000 Gefallenen. Von Soldatenfriedhöfen. Mit Grabsteinen. Auf denen Geburtsdaten stehen, die nach meinem eigenen Geburtstdatum liegen.
Vier Jahre später greift am 24.02.2022 Russland die Ukraine an. Krieg ist nun nicht mehr nur im Osten des Landes, Krieg ist nun auch in jenen Städten, die ich früher besucht habe. Meistens gehe ich abends in der Hoffnung ins Bett, am nächsten Morgen aufzuwachen und festzustellen, dass all das nur ein Traum war. Doch es will nicht funktionieren. Tag für Tag trudeln die Meldungen ein. Tag für Tag sind Familien auf der Flucht. Tag für Tag werden Raketen abgeschossen. Tag für Tag sterben Menschen.
All das zu verarbeiten, ist nicht leicht. Was mir hilft, ist nicht alleine zu sein. Und so gehe ich auf Demonstrationen, Kundgebungen und Benefizkonzerte in Prag. Auf dem Wenzelsplatz, an dem unter anderem 1989 für die Freiheit demonstriert wurde, findet fast jeden Tag eine Veranstaltung statt. An seinem Kopfende steht das Nationalmuseum, in dessen Fassade noch mahnend die Schusslöcher der sowjetischen Truppen von der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 zu sehen sind. Auf den Kundgebungen heutzutage werden rege Fahnen geschwenkt. Die der Nato, die der EU, vor allem aber, die der Ukraine. Doch die blau-gelben Fahnen wehen nicht nur bei Demonstrationen, sondern auch an jeder Straßenbahn, an Häuserfronten, auf Balkonen. Menschen tragen blaue Jacken und gelbe Hosen, das kann Zufall sein, muss es aber nicht.
„Prag! Blau-gelb steht dir!“, sagt bei einer Demonstration auf dem Podium eine Ukrainerin, die seit vielen Jahren in Tschechien lebt. Ja, Prag, blau-gelb steht dir. Aber was hilft all das? Mir hilft es immerhin, zu verarbeiten, was da gerade in Europa passiert. „Slava Ukraini“, ruft die Frau vorne am Ende ihrer Rede. „Heroiam slava“, antworten Zehntausende Menschen aus voller Kehle. Ich rufe mit.
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