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Perspektivenwechsel

Anna

Autor:
Anna

Rubrik:
studium

19.08.2022

Habt ihr auch Momente, in denen euch bewusst wird, wie privilegiert ihr seid? Mir geht es oft so, wenn ich mit geflüchteten Menschen spreche. Dazu hatte ich in den letzten Wochen immer wieder Gelegenheit, denn ich habe ab und zu ehrenamtlich im Café eines Flüchtlingszentrums gearbeitet. Wobei der Name „Café“ schon fast übertrieben klingt, es handelt sich eher um eine umfunktionierte Wohneinheit. Im Wohnzimmer stehen Sofas, Sessel und Stühle um zwei niedrige Tische mit Flyern und Pflanzen herum. In der Küche schenken wir aus Thermoskannen Tee und Kaffee aus und reichen dazu Kekse. Jeden Nachmittag können Menschen aus der Aufnahmeeinrichtung hier kostenlos einen Kaffee trinken, sich unterhalten, Informationen erfragen und Deutsch üben. Manchmal kommen nur ein oder zwei Personen, ab und zu aber auch ein gutes Dutzend. 

Und ich muss sagen, dass ich dort Gespräche geführt habe, die mich sehr zum Nachdenken gebracht haben. Und das, obwohl die Verständigung oft schwierig ist – ich spreche zum Beispiel kein Arabisch oder Persisch, geschweige denn Oromo, eine Sprache, die ich bis vor Kurzem gar nicht kannte und die von einer Volksgruppe gesprochen wird, die in Äthiopien sowie im Norden Kenias lebt. Denn auch wenn wir aktuell vor allem an die Ukraine denken, kommen weiterhin sehr viele Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, der Türkei, aber auch aus Georgien, Somalia und vielen weiteren Ländern nach Deutschland.  Deshalb beschränkt sich die Kommunikation ab und zu auf Übersetzungsapps, Zeichnungen oder Stadtpläne. Andererseits gibt es viele, die Englisch können oder schon richtig gut Deutsch sprechen und viel zu erzählen haben. Sie erzählen dann von ihrem Leben in der Heimat, von Traditionen, sprechen aber auch über deutsche Eigenheiten oder Politik. Ich habe durch solche Gespräche wahnsinnig viel gelernt. Und ich bewundere die Stärke dieser Menschen und was sie alles schon geschafft haben! Für diesen Perspektivenwechsel, den mir das Ehrenamt außerhalb des Studiums ermöglicht hat, bin ich wirklich dankbar.

Vermutlich hilft mir mein Studium aber sogar, feinfühlig zu reagieren, denn auch wenn oft eher kultureller Austausch, Smalltalk und Ablenkung gefragt sind, kommen natürlich manchmal traumatische Fluchtgeschichten oder Gewalterfahrungen auf. Oder es geht um Schicksalsschläge, vor allem wenn Asylanträge abgelehnt werden.

Leider weiß ich über Asylrecht und den Ablauf von Asylverfahren noch sehr wenig, daher kann ich mir meist gar kein politisches Urteil erlauben. Aber ganz deutlich spüre ich, wie groß mein Privileg ist, mit einem deutschen Pass geboren zu sein, mich in beinahe allen Ländern frei bewegen zu können und sogar studieren zu dürfen.