Rubrik:
studium
17.02.2020
Autor:
Ferdinand
Rubrik:
studium
17.02.2020
Meine ersten 19 Lebensjahre habe ich zu einem großen Teil auf einem Friedhof verbracht – denn direkt gegenüber steht mein Elternhaus, hier bin ich auf Bäume geklettert, bin Schlitten gefahren und habe gemacht, was man eben als Kind auf dem Dorf so macht. Als ich nach dem Abitur nach Prag umzog, wurde der Ehrenfriedhof Slavin auf dem alten Burggelände Vysehrad schnell zu einem meiner Lieblingsplätze: Bis heute hat der Ort für mich eine ganz besondere Atmosphäre. In Wien wohne ich nun unweit eines ehemaligen Friedhofs, auf dem auch Schubert und Beethoven ihre erste Ruhestätte fanden. Eine meiner Wien-Erkundungen führte mich nun neulich auf einen weiteren Friedhof, aber nicht auf irgendeinen, sondern auf den Wiener Zentralfriedhof.
Der Zentralfriedhof ist einer der größten Friedhöfe Europas – über drei Millionen Menschen liegen hier begraben. Drei Millionen. Eine schier unglaubliche Zahl. Neben privaten Gräbern – einige besser in Schuss, andere weniger, einige mit verwitterten und vermoosten Grabsteinen, andere mit frisch aufgeschütteter Erde – finden sich auf dem Zentralfriedhof auch Kriegsgräber, prächtige Trauerhallen und Abteilungen für die verschiedensten Religionen.
Aufgrund der gigantischen Ausmaße des Friedhofs gibt es zwei Buslinien, die über den Friedhof fahren. Gegen Gebühr darf man sogar mit dem eigenen Auto ans Grab der Wahl fahren. Und vor zwei Jahren hat hier sogar ein Kaffeehaus eröffnet – nicht nur für Trauerfeiern, sondern auch als Ort der Begegnung ist es konzipiert.
Dass der Friedhof groß ist, diese Erfahrung darf auch ich bei meinem Besuch machen. Denn während ich staunend die Grabsteine betrachte, Lebensdaten, Berufe und Namen lese, passiert das, was zu erwarten war: Ich verlaufe mich. Fast zwei Stunden brauche ich, um den Friedhof zu durchqueren und schließlich an einem der vielen Tore lande. Von dort nehme ich die 71 nach Hause. Die Bim-Linie 71 fährt seit jeher den Zentralfriedhof an, früher gab es sogar einen Leichenstraßenbahnwagen, lese ich später nach. Mit Gedanken zum Tod und Wandas „Letztem Wienerlied“ im Kopf fahre ich zurück in mein normales Leben – und bin mir dabei sicher, für einen Spaziergang irgendwann wieder vorbeizukommen.
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