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Master live: Ein Sonntagsspaziergang durch den 1. Bezirk

Foto von abi>> Blogger Ferdinand

Autor:
Ferdinand

Rubrik:
studium

17.06.2020

„Die Magie Wiens können Sie am besten bei einem Spaziergang im 1. Gemeindebezirk erleben. Wandeln sie im schummrigen Licht durch die Fußgängerzonen, gehen sie in den verwinkelten Gassen verloren und lassen Sie sich in eine längst vergangene Zeit versetzen.“ So oder so ähnlich könnten die Worte aus einem schlechten Reiseführer über die österreichische Hauptstadt klingen. Wien ist eines der touristischen Hauptziele Europas. 16,5 Millionen Gästeübernachtungen vermeldete das Magistrat 2018. Doch 2020 ist alles anders. Die Pandemie wütet und der Tourismus kommt nahezu zum Erliegen. Wie auch an anderen Orten, die sonst vor allem Ziele von Reisenden sind, zeichnen sich auch in der Wiener Innenstadt ein ähnliches Bild ab: Die Einheimischen erobern sich ihre Stadt zurück.

Und so zog es auch mich jüngst in den 1. Bezirk Wiens, in den mich sonst nur sehr wenig verschlägt. Dabei begegnete ich sehr wohl der eingangs geschilderten Magie Wiens. In verlassen Passagen strahlten die Kronleuchter nur für mich, auf prächtigen Plätzen war ich der Einzige, der über das Jahrhunderte alte Pflaster flanierte. Nur ab und an begegnete ich einer Menschenseele: Pärchen spazierten händehaltend umher, einige Jogger zogen hechelnd durch die Straßen, eine Frau stillte ihr Kind auf einer Parkbank. Vor dem traditionsreichen Café Central steht an einem Sonntagnachmittag oft eine meterlange Menschenschlange. An diesem Sonntag war ich der einzige, der sich den goldenen Schriftzug über dem Eingangsportal staunend besah und durch die Tür einen Blick in das Innere warf. Auch im Stephansdom herrscht sonst reger Besucherverkehr. An diesem Sonntag suchten nur einige wenige Menschen die Einkehr in der ruhigen Atmosphäre des Domes.

Während ich mich immer mehr verlaufe, frage ich mich, wann hier wohl wieder alles so sein wird, wie vor ein paar Monaten. Wann wieder der Lärm der Restaurants zwischen Häuserfassaden hallen wird? Wann die verschiedenen Sprachen in den Straßen zu hören sein werden und wann die Orgel des Stephansdomes erneut erklingen wird? Wann sich wieder die Fiaker durch die Stadt bewegen und dabei ihren stechenden, unangenehmen Geruch verbreiten werden? Vermutlich wird all dies noch eine Weile dauern. Aber bis es wieder soweit ist, werde ich die Gelegenheit noch öfter nutzen, mich in die Wiener Innenstadt aufzumachen und Wien so zu erleben, wie es sonst nur kaum möglich ist.