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Weinen bis der Rhein überläuft

Ein Porträt von Blogger Noah

Autor:
Noah

Rubrik:
studium

12.02.2025

Es gibt so Tage, da bereut man jede einzelne Lebensentscheidung, die einen genau an diesen Punkt gebracht hat. Da hilft kein gutes Zureden, keine Relativierung – man steckt in seinem eigenen Tunnel, sieht schwarz, ist traurig oder weint einfach seine Tränensäcke leer. Okay, das klingt jetzt nach einem absolut dramatischen Einstieg, vor allem, wenn man bedenkt, dass es weder um eine Gerichtsverhandlung noch um eine Beerdigung ging, bei der ich den Tod der betroffenen Person zu verantworten hätte. Nein, es ging „nur“ darum, dass mein zweites Erasmus-Abenteuer in Bratislava begann. Doch mein Reisetag in Richtung slowakische Hauptstadt startete schon mit einem unguten Gefühl im Magen und die ersten Tränen ließen nicht lange auf sich warten. Ich packte noch die letzten Sachen in meinen Koffer, vergewisserte mich, dass alles Wichtige griffbereit in meinem Rucksack war, und dann ging es los nach Feldkirch. Das war der nächste Bahnhof, von dem ein Direktzug nach Bratislava abfuhr – allerdings lag Feldkirch immer noch knapp zwei Autostunden entfernt. Zwei Stunden, in denen ich alle fünf Minuten einen Heulanfall bekam und darüber lamentierte, dass ich das alles eigentlich gar nicht wollte.

Jetzt fragt ihr euch vielleicht: Warum bist du so traurig? Viele Leute wären dankbar, ein Auslandssemester machen zu können. Außerdem zwingt dich doch niemand, in den Zug zu steigen. Ja, das stimmt alles – aber an diesem Tag war mir einfach alles zu viel. Es ist anstrengend, irgendwo neu anzufangen. Die typischen Fragen schwirrten mir im Kopf herum: Werde ich Freund*innen finden? Klappt alles mit der Wohnung? Und ich war noch nicht mal seit zwölf Monaten in Augsburg, hatte mich gerade erst an mein neues Leben dort gewöhnt – und nun stand schon wieder ein Umzug an, auch wenn er nur auf Zeit war. An diesem Tag widerstrebte mir einfach alles, und so musste meine Mutter eine Heul-Tirade aushalten, bei der fast der Rhein überlief. Schließlich beruhigte ich mich wieder und wir gingen zu Bahnsteig 2, wo schon bald der RJX 167 einfahren sollte. Ich verabschiedete mich von meiner Mutter für die kommenden drei Monate, stieg in Wagen 28 und war bereit – oder zumindest so bereit, wie man sein kann. Ungewöhnlich deutsch für die österreichische Bahn fuhren wir mit 15 Minuten Verspätung los, und ich verdrückte noch eine letzte Träne beim finalen Goodbye durch die Fensterscheibe.

Es lagen nun sieben Stunden Zugfahrt vor mir – und zu meiner eigenen Überraschung hörte das Weinen mit der Abfahrt des Zuges auf. Um es vorwegzunehmen: Ich habe in Bratislava relativ wenig geweint. Außer, wenn mein Algorithmus mir mal wieder Videos von geretteten Hunden zeigte – dann drohte die Donau überzulaufen. Aber mehr dazu in den kommenden Texten – dann vielleicht auch mit weniger emotionalen Einstiegen. Vielleicht.